Die gegenwärtige Situation ist eine nie dagewesene Herausforderung. Vor allem belasten das Coronavirus und die Angst vor Covid-19 den Familienalltag. Schulen und Kitas waren über Monate geschlossen, die Großeltern durften lange Zeit nicht mehr besucht werden und Eltern mussten und müssen teilweise immer noch unter all diesem Druck im Homeoffice ihrem Beruf nachgehen. Schlimmstenfalls sind sie auch noch von einem Jobverlust bedroht.
Laut einer Umfrage von Yougov im Mai 2020 gaben rund 18 Prozent der Personen in Deutschland an, dass sich durch die Corona-Maßnahmen ihre Familie weiter voneinander entfernt hat. Für manche Familien kam zu der sowieso schon schwierigen Situation (alleinerziehend, angespannte Familieninteraktionen, psychische Eigenbelastungen der Mütter/Väter) die Isolation als Belastung hinzu.
Konnten Kinder zuvor, während die Eltern arbeiten oder zur eigenen Entlastung, an die Großeltern oder befreundete Familien kurzzeitig übergeben werden, waren sie nun auf sich alleine gestellt. Bisher erlebte entlastende Hilfen vom Sozialamt, Jugendamt, Nachbarschaftshilfe, kirchliche und andere Träger konnten durch Lockdown und Abstandsregelung nicht stattfinden. Mussten hierzu noch „Sonderurlaube“ oder „Freistellungen“ beim Arbeitgeber eingefordert werden, kam es wie eingangs erwähnt teilweise zu Bangen und Ängsten, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Medienkonsum steigt
In einigen Familien wurde der Medienkonsum zu einem weiteren Reibungspunkt. Die Überforderung der Eltern führte, wie mehrere Studien belegen, zur vermehrten Eskalation, teilweise tragischerweise sogar bis hin zu Gewalt in den eigenen vier Wänden. Auch Kinder waren überfordert, weil ihnen feste Tagesabläufe und Strukturen fehlten und soziale Kontakte mit Freund*innen und Schulkamerad*innen verloren gingen. Ein Ausleben und Auspowern ist wegen verschiedener Beschränkungen auch heute noch nicht im vollen Umfang möglich. Die Eltern sind ob der eigenen Überforderung nicht ausreichend ansprechbar für die Probleme der Kinder. Im Versuch, nach dem ersten Lockdown für Ersatzstrukturen zu sorgen, prallten Home-Schooling und Home-Office aufeinander.
Familien auffangen und Bedürfnisse äußern
Für Familien, die diese Auswirkungen besonders zu spüren bekommen haben, bietet unsere Familientherapie in der Heiligenfeld Klinik Waldmünchen unterschiedlichste Möglichkeiten. In der Kindertherapiestätte können die Kinder fern von Notbehelfen wie Tablet, Handy oder TV wieder ins kindgerechte Spielen kommen oder Gefallen daran finden. Hier werden die Kinder so individuell wie möglich begleitet, ihren Ausdruck zu finden, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und adäquat zu äußern.
Die durch die Belastung aus dieser Krisenzeit in der Familie entstandenen negativen Lernerfahrungen, die sich in mangelnden sozialen Kompetenzen, Ängstlichkeit, In-sich-gekehrt-sein oder explosivem Verhalten äußern, können hier über altersentsprechende Gruppen beobachtet und therapeutisch umgewandelt werden. Die Kinder lernen hierdurch neue Möglichkeiten des Erlebens und Handelns sowie Selbstwirksamkeit.
Durch die gleichzeitige Therapie der Eltern mit ihren eigenen Themen (bspw. Umgang mit den entstandenen Ängsten, Überprüfung eigener Werte/Bewertungen der eigenen Leistung), ist es dann auch möglich, die Familiendynamik transparent zu machen. Nicht nur die Gespräche mit den Therapeut*innen und das „Sich-Neuerleben“ in der Gruppentherapie unterstützt ein größer werdendes Selbstverständnis für „Ich und mein System Familie“. Auch der Austausch mit anderen Familien und den unterschiedlichen Altersgruppen öffnen den Horizont aus dem negativen Denken heraus.
Die annehmende Betrachtung und das Verständnis für sein eigenes Erleben und Handeln ermöglicht ein offeneres Wahrnehmen der eigenen Wirkung auf die Kinder als bisher. Die Fortschritte aller Familienmitglieder ermöglichen in den zusammenführenden Therapieeinheiten erste neue „Gehversuche“ im Miteinander.
Die Familieninteraktion wird zu einem Übungs- und Lernfeld, in dem sich alle Familien der Kerngruppe im Austausch unterschiedlicher Erfahrungen gegenseitig bereichern können. Beides kann sowohl in den Familiengruppen als auch in der therapiefreien Zeit innerhalb der therapeutischen Gemeinschaft zu einer neuen Anwendung finden und erprobt werden.
Bestehende Konflikte können hier auf einer anderen Ebene betrachtet, Ursprünge geklärt sowie neue Interpretationen und Reaktionsmöglichkeiten einzeln und gemeinsam erarbeitet werden. Hier wird deutlich, dass jeder Wissensstand wirksam und wichtig ist. Vermeintliche „Therapie – Anfänger“ bremsen zu hohe Erwartungen der „Fortgeschrittenen“ insofern aus, als dass bisherige Schritte gewürdigt werden können und die Anforderung überprüft wird. Letztere unterstützen wiederum eine hoffnungsvolle Haltung und die Aussicht auf ein bestmögliches Gelingen für die Neuen, indem diese Reflexion innerhalb dieses Kontextes geschieht.
Neugierig geworden? Unser Aufnahmeteam beantwortet Ihnen gerne weitere Fragen!
Autorin: Yvonne Warnicke, Heiligenfeld Klinik Waldmünchen