Neue Arbeitsmodelle – Resilienz und Achtsamkeit

Die Arbeitswelt verändert sich – mit und durch die Pandemie. Wie können diese Veränderungen gut gelingen? Wie können Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter*innen einen guten gemeinsamen Weg finden?

Iris Vollert, Bereichsleitung Marketing und Unternehmenskommunikation in den Heiligenfeld Kliniken war zu Gast bei Oliver Kirchhof, Coaching Werkstatt Bayenthal. Gemeinsam haben sie über den positiven Einfluss von Achtsamkeit auf die neuen Arbeitsmodelle und die Team-Resilienz gesprochen.

Oliver Kirchhof, u. a. beratend im Change-Management unterwegs, bemerkt immer wieder in seinen Gesprächen, dass der Begriff der Achtsamkeit sehr unterschiedlich verstanden wird und daraus viele Missverständnisse erwachsen.

Frau Vollert, Sie sind Führungskraft in den Heiligenfeld Kliniken. Wie ist für Sie Achtsamkeit definiert?

Wie Sie schon richtig gesagt haben, wird Achtsamkeit auf sehr unterschiedliche Weise verstanden und es gibt viele Definitionen hierzu. Unterschiedliche Religionen haben verschiedene Herangehensweisen, Achtsamkeit zu definieren. Hier wird deutlich, dass es sich bei „Achtsamkeit“ um ein vielschichtiges, heterogenes Konstrukt handelt, das nicht allgemeingültig definiert werden kann. Wenn ich die verschiedenen Ansätze betrachte und einen gemeinsamen Nenner finden müsste, dann würde ich Achtsamkeit folgendermaßen beschreiben: die Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment lenken mit all dem, was im Jetzt geschieht, mit Offenheit und Neugier sich im gegenwärtigen Moment orientieren. Dies ermöglicht uns, das, was gegenwärtig geschieht, mit allen Gedanken, Empfindungen und Gefühlen neutral zu erfahren, also nicht zu werten, nicht zu beurteilen, sondern zu akzeptieren: Es ist wie es ist.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen, denen Teams und Führungskräfte heute gegenüber stehen – Stichwort: Fluid Remote?

Ich denke, dass Führungskräfte und Teams sich immer mehr in der sogenannten VUCA-Welt zurechtfinden müssen. Dieser Begriff wurde schon in den 90er Jahren geprägt. Er besagt, die Welt ist unbeständig, unsicher, schnell und widersprüchlich, und das heute noch mehr denn je, was uns die Corona-Pandemie ganz deutlich vor Augen geführt hat. Diejenigen, die sich damit wenig beschäftigt haben, sind spätestens durch Corona damit adhoc konfrontiert worden. Ein Beispiel, das Sie ansprechen, sind die Anforderungen an Arbeitsmodelle. Kurz zusammengefasst sprechen wir von vier Team-Modellen, und zwar On-site, also das traditionelle Modell: alle sind im Unternehmen im Büro und Full-remote: alle Aufgaben werde remote, also von der Ferne, von irgendwo, ausgeführt.  Die anderen beiden Modelle könnten zukünftig an Bedeutung gewinnen. Bei den Hybrid Teams unterscheidet man zwischen Static Hybrid und Fluid Hybrid: manche Teammitglieder arbeiten On-site, sprich vor Ort, andere wiederum arbeiten permanent aus der Ferne. Das kennen wir z. B. aus Vertriebsunternehmen. Fluid-remote-teams halten immer mehr Einzug in Organisationen: Büros werden vor Ort beibehalten, aber Führungskräfte und Team-Mitarbeiter*innen behalten sich die Flexibilität vor, zu entscheiden, wann sie wo arbeiten wollen.

Wo sehen Sie die Chancen und wo die Risiken des Arbeitens im Remote-Konzept? Wie passt Remote zu Ihrer Unternehmenskultur? Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Ihren Teammitglieder*innen?

Vorteile sehe ich in der Flexibilität der Arbeitsmodelle, die eine Chance sowohl für Mitarbeiter*innen als auch für Arbeitgeber*innen darstellen. Zum einen ermöglicht man dadurch Mitarbeiter*innen, auf die unterschiedlichen Vorlieben zu antworten und somit die Zufriedenheit zu steigern. Das können ganz profane Dinge sein, wie dass ich mich morgens nicht eine Stunde lang im Bad fertigmachen muss, sondern mich in einem Casual Look oder vielleicht sogar Jogging-Anzug an meinen Arbeitsplatz setzen kann, oder ich habe im häuslichen Arbeitszimmer einen wunderschönen Blick auf meinen Garten, ich muss keine Wegstrecke zur Arbeit zurücklegen oder wenn bspw. ein*e Mitarbeiter*in sich zu Hause in einer ruhigen Umgebung besser konzentrieren kann. In vielen Unternehmen gibt es Großraumbüros, wodurch sich Mitarbeiter*innen auch gestört fühlen können. Es gibt weniger Stress durch wegfallende Dienstreisen. Vieles kann virtuell besprochen werden.

Bei den Risiken möchte ich die technischen Herausforderungen außen vor lassen und mich bei Ihrer Frage eher auf die zwischenmenschlichen Herausforderungen konzentrieren. Bei Remote-Konzepten fehlt die persönliche Interaktion. Das sehe ich persönlich als eine Herausforderung. Wir sind nun mal soziale Wesen und wir ernähren uns emotional von sozialen Interaktionen. Da sehe ich persönlich ein Risiko, im schlimmsten Fall emotional zu verkümmern. Und gleichwohl kann das durch hybride Arbeitsmodelle, also einmal vor Ort im Unternehmen und ein anderes Mal von zu Hause aus, ausgeglichen werden.

Unsere Branche verbietet es ja schon aufgrund der Patient*innenversorgung, dass alle Mitarbeiter*innen Full-remote arbeiten. Wenn wir über zukünftige Modelle nachdenken, wird es bei administrativen Berufsgruppen wie IT, Marketing oder Personalmanagement sicherlich einfacher sein als im therapeutischen Bereich. Dort geht es um die Präsenz von Ärzt*innen und Therapeut*innen und um die persönliche Interaktion zwischen Therapeut*in und Patient*in.

Wo kann aus Ihrer Sicht Achtsamkeit Teammitglieder*innen wie Führungskräften helfen, um den Herausforderungen und Risiken von Remote und unserer Arbeitswelt insgesamt konstruktiv zu begegnen?

Da gibt es tatsächlich wenig Unterschied zu klassischen Modellen wie On-site (also vor Ort): Mit Mitarbeiter*innen auch virtuell auf der zwischenmenschlichen Ebene im Kontakt bleiben, achtsam sein dafür – auch wenn man nur über zwei Bildschirme miteinander kommuniziert – welche Mimik das Gegenüber zeigt, wie die Tonalität ist, und dann ggf. beziehungsorientierte Fragen stellen. Virtuelle Begegnungsräume auch außerhalb des Arbeitskontextes schaffen, z. B. jede*r bestellt sich eine Pizza, die  dann gemeinsam gegessen wird, oder auch ein gemeinsames Kochevent. Es kann viel Spaß machen, sich gemeinsam mit dem Team kreative Möglichkeiten zu überlegen, auch virtuell im Kontakt zu sein. Wie viele virtuelle Meetings sind notwendig und gut für alle, um der Zoom-Fatigue entgegenzuwirken? So etwas kann gemeinsam besprochen werden, z. B. in einer Supervision. Klar kommunizieren, wann Pausen eingehalten werden sollen usw. Was sind die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen? Das betriebliche Gesundheitsmanagement muss solchen Anforderungen angepasst werden.

Welche Achtsamkeitsübungen praktizieren Sie privat und welche im Berufskontext? Können Sie Achtsamkeits-Mikrotools für den Arbeitsalltag (Meetings, Videokonferenzen, Pausen) empfehlen? Gibt es vielleicht Achtsamkeitsübungen, die Sie im Team gemeinsam praktiziert?

Privat meditiere ich mindestens viermal die Woche zu Hause, ca. 25 Minuten. Je nach Bedarf wechsle ich mit den Meditationen: manchmal eine stille Meditation, ZEN oder auch eine geführte, je nach Stimmungslage. Einmal im Jahr versuche ich ein Schweige-Retreat zu machen, für ca. 5 bis 7 Tage. Danach geht es mir lange richtig gut. Der Kopf ist leer und klar, Power für den Geist und die Seele, aber auch für den Körper.

Vor Sitzungen – das gehört auch zur Unternehmenskultur in den Heiligenfeld Kliniken – lese ich eine Text oder Zitat vor und wir werden für ein paar Minuten gemeinsam still. Das geht sowohl On-site als auch Remote sehr gut. Man sollte kurze Pausen machen, wenn man zu lange am Bildschirm gearbeitet hat. Durchlüften, ein paar Atemübungen, ein paar Bewegungseinheiten, aufstehen, vielleicht auch eine kurze Gehmeditation. Wir haben in Heiligenfeld während der Pandemie einmal in der Woche zum Thema „Zeit für uns“ den Mitarbeiter*innen im Rahmen der Organisationsentwicklung ein Angebot gemacht und uns virtuell Zeit für Achtsamkeitsübungen genommen.

Was empfehlen Sie Menschen, um ihre Resilienz zu stärken? Wie stärken Sie Ihre Resilienz? Was machen Sie, um die Resilienz in Ihrem Team zu stärken?

Ich stärke mich z. B. durch Beziehungen, soziale Kontakte, sowohl am Arbeitsplatz als auch privat. Ich bin gerne in der Natur, treibe Sport, jogge und im Sommer gehe ich gerne schwimmen. Das ist für mich eine enorme Kraftquelle, bei schönem Wetter im Bad oder im Meer zu schwimmen. Ich stärke mich durch gutes Essen und vor allem schöne Filme oder gute Bücher. Und natürlich meine Auszeiten, im Schweige-Retreat.

Stärkend fürs Team ist eine gute, offene Teamkultur. Ich fördere, in den offenen Austausch zu gehen und Teamtage zu gestalten. Weiterentwicklung zu fördern und vor allem einen kooperativen Führungsstil zu pflegen ist mir wichtig. Mitarbeiter*innen an Entscheidungen mitwirken zu lassen, Verantwortung für Projekte zu übernehmen und vor allem humorvoll im Miteinander zu sein. Lachen und gemeinsam Spaß haben finde ich unglaublich wichtig, und das macht uns auch resilient.

Herzlichen Dank, Frau Vollert, für dieses spannende Interview! Gibt es ein Silver Bullet – so einen ganz persönlichen Top-Tipp, den Sie den Leser*innen gerne mitgeben möchten?

Sich in Gelassenheit üben, mit Herz und Verstand führen, und vor allem den Humor und den Spaß nicht zu vergessen.

Iris Vollert

Iris Vollert

Iris Vollert ist Wirtschaftspsychologin, Betriebswirtin sowie Fachwirtin für Public Relations. Sie leitet die Unternehmenskommunikation der Heiligenfeld Kliniken.

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