Für unser neues Corona-Burnout-Journal haben wir mit Dr. Hans-Peter Selmaier, Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld, ein Interview über die psychischen Langzeitfolgen der Corona-Pandemie geführt.
Unter welchen Symptomen leiden Ihre Patient*innen aufgrund der Covid-19-Pandemie?
Dr. Selmaier: Im Mittelpunkt steht eine ängstlich-depressive Symptomatik. Im Rahmen der Pandemie drohen schlimme gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Folgen. Täglich erreichen uns mehrmals neue Hiobsbotschaften mit steigenden Infektions- und Todeszahlen, schweren Krankheitsverläufen, bleibenden Einschränkungen und Behinderungen. Der mit- und zwischenmenschliche Zusammenhalt wird durch Social-Distancing in Frage gestellt. Familien sind überlastet, ohne Unterstützung zu erfahren. Gemeinschaft wird nicht mehr gelebt. Die Wirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen mit schweren Folgen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Selbstständige.
Dabei vermischen sich reale Ausfälle mit katastrophisierenden Verarbeitungen. Im Vordergrund stehen also diverse tatsächliche und drohende Verluste, gerade auch Kontrollverluste. „Dunkelheit“ erhöht die Orientierungslosigkeit, während gleichzeitig ein Ende nicht in Sicht ist. Es kommt dabei zur Verstärkung durch Teufelskreise; negative Erwartungen scheinen sich zu bestätigen und führen zur Intensivierung von Ängsten, möglicherweise auch zur Eskalation. Unabhängig davon weiß man, dass Patient*innen mit einer Angststörung meist intensiver auf erlebte Bedrohungen reagieren, während depressive Patient*innen verlustsensibler sind und unter ihrer Isolierung leiden.
Welchen sozialen Hintergrund haben Ihre Patient*innen? Welche Altersklassen? Gibt es dazu eine spezielle Tendenz oder trifft es alle Bevölkerungsschichten?
Dr. Selmaier: Sicherlich sind alle Bevölkerungsgruppen betroffen, was sich in der Zusammensetzung unserer Patient*innen zeigt. Frauen sind durch die Corona-Pandemie psychisch stärker gefährdet als Männer und haben auch ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen. Eine stärkere Betroffenheit existiert bei älteren, insbesondere dementen, bzw. chronisch kranken Patient*innen, Alleinstehenden und Patient*innen in prekären beruflichen Situationen, eher ärmeren Menschen und Menschen mit niedrigerem sozialem Status; besonders betroffen sind Obdachlose, sie sind zur Zeit verstärkt auf Akutstationen psychiatrischer Kliniken zu finden. Insgesamt entstehen Belastungen für alle Familienmitglieder und die Familie als Ganzes; das trifft insbesondere auf Kinder und Jugendliche zu mit Kontaktverlust zu Schule und Gleichaltrigen.
In der Parkklinik Heiligenfeld sind etwas verstärkt ältere, alleinlebende und chronisch kranke Patient*innen und wirtschaftlich bedrohte Selbstständige vertreten.
Manche Belastungen betreffen spezielle Berufsgruppen wie den Hotel-, Gaststätten- und Veranstaltungsbereich. Außerdem sind Menschen, die im medizinischen Bereich und in der Kranken- und Altenpflege arbeiten, besonders betroffen. Auch Lehrer*innen und Erzieher*innen leiden daran, dass sie mit großer Mühe Defizite bei ihrem Klientel kompensieren müssen.
Welche möglichen Spätfolgen der Pandemie auf die Psyche erwarten Sie?
Dr. Selmaier: Die psychischen Langzeitfolgen sind noch schwer abzusehen, wenngleich es Hinweise gibt, dass das Risiko für Depressionen, Angsterkrankungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Süchte zunimmt. Bei einer Infektion kann auch das Gehirn selbst mitbetroffen sein, wobei psychiatrische Symptome auftreten können wie Angst, Depression, geistige Ausfallserscheinungen bis hin zu Verwirrtheitszuständen und Schlaflosigkeit, im Extremfall auch Psychosen, Delirien und demenzieller Abbau.
Welche Tipps können Sie Betroffenen geben, mit der Krise umzugehen?
Dr. Selmaier: Tägliche Routinen mit ausreichend Ruhe, Schlaf und Erholung, gesunde Mahlzeiten und ausreichend Bewegung sind besonders wichtig, ebenso wie Freiräume für freudvolle Aktivitäten. Wichtig ist es, mit anderen in Kontakt zu bleiben, wofür sich u. a. Telefon und Internet eignen, mit der Möglichkeit, sich über gegenwärtige Ängste und Sorgen auszutauschen. Wenn man anderen Menschen hilft, tut man auch sich selbst etwas Gutes. Sich abzulenken und insbesondere schönen Dingen zuzuwenden, wie einem guten Essen oder angenehmer Musik, ist ebenfalls hilfreich.
Dr. Hans-Peter Selmaier
Dr. Hans-Peter Selmaier ist Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld.