In unserem heutigem Blogeintrag widmet sich Udo Girg, Dipl.-Psychologie, Psychol. Psychotherapeut und Leitender Psychologe in der Heiligenfeld Familienklinik Waldmünchen einem sehr ernsten und schmerzhaften Thema: Sexuelle Gewalt an Kindern. In der Heiligenfeld Klinik Waldmünchen werden immer wieder Kinder, Jugendliche und deren Eltern behandelt, die Opfer von sexuellen Übergriffen geworden sind. Udo Girg erklärt, wie sich Betroffene fühlen und was in einer Therapie geschehen kann. Wir sind uns bewusst, dass wir hiermit ein Thema anschneiden, dass in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert ist. Gerade deshalb finden wir es umso wichtiger, dass wir darüber sprechen.
Den Gewaltkreislauf unterbrechen durch stationäre Familientherapie
ein Text von Udo Girg.
Im Jahr 2011 erfasste die Kriminalstatistik 12.444 Taten von sexuellen Übergriffen an Kindern. Damit stiegt die Zahl zum Vorjahr um 4,9 Prozent. Erschreckend! Und die Dunkelziffer ist noch viel höher. Die Auswirkungen von sexueller Gewalt an Kindern dauern meist ein Leben lang. Neben körperlichen Folgen, leiden Betroffene unter großen psychischen Belastungen.
Die seelischen Folgen
Sexuelle Misshandlung heißt schlimmste Verletzung des Bedürfnisses eines Kindes nach Liebe, körperlicher Nähe und Geborgenheit, Halt und Schutz. Dies gilt besonders dann, wenn die sexuellen Übergriffe innerhalb der Familie oder Verwandtschaft von Personen ausgeübt werden, die das Kind liebt und zu denen es Vertrauen hat. Von denen es sich wünscht und es auch braucht, ebenfalls geliebt zu werden. In vielen Fällen wird der Missbrauch von den Tätern verleugnet, verbrämt oder das Kind unter Geheimhaltungsdruck gesetzt. Es erlebt in dieser Missbrauchssituation völlig konträre Empfindungen und Gedanken: Ich bekomme besondere Zuwendung und werde missachtet. Ich möchte schreien und ich soll schweigen. Ich möchte mich wehren und ich lasse geschehen. Ich spüre angenehme Gefühle und ich erlebe Ekel. Dies verwirrt das Kind ganz erheblich in seinen Gefühlen und in seiner Bereitschaft zu vertrauen. Es kann seinen Platz in der Familie nicht finden, es weiß nicht mehr was richtig und falsch ist. Es findet nicht zu sich. Seine Fähigkeit, sich auf nahe und vertrauensvolle Beziehungen einlassen zu können, ist auf nachhaltige Weise gestört.
Generationenübergreifender Kreislauf von Gewalt
Um in der Missbrauchssituation seelisch und körperlich zu überleben und um die Nähe und Zugehörigkeit zu den Menschen, von denen es noch abhängig ist, nicht zu gefährden, muss ein betroffenes Kind heftige Gefühle von Schmerz und aggressiver Impulse wie Hass und Wut verdrängen und später vielleicht sogar die Erinnerung an das höchst verletzende Geschehen überhaupt. Das Kind lernt notgedrungen, gefühllos zu werden. Die unterdrückte Aggression entlädt sich später entweder unkontrolliert oder „implodiert“ nach innen, in Form von Selbstverletzung, Selbsttötung, Depression, psychosomatischen Erkrankungen. Kinder von seelisch so schwer verletzten, ihnen gegenüber unzulänglich feinfühligen Eltern müssen ihrerseits lernen, durch Unterdrückung ihres Schmerzes und ihrer Wut, in dieser Situation zu überleben. Die Opfer-Täter-Dynamik setzt sich in einem Teufelskreis von Generation zu Generation fort.
Was geschieht im Rahmen einer stationären psychotherapeutischen Familienbehandlung in der Familienklinik Waldmünchen im Einzelnen?
Um die Psychodynamik derartigen Gewaltgeschehens unterbrechen zu können, braucht es nachhaltige psychotherapeutische Maßnahmen, die über das Opfer-Täter-Denken hinaus das generationenübergreifende Geschehen aufgreifen können. Die Familienklinik Waldmünchen mit der gleichzeitigen Behandlung der Eltern und ihrer Kinder und einem umfassenden Therapieangebot bietet hierfür besonders gut geeignete Möglichkeiten.
Ziel der Therapie ist es, zum einen den traumatisierten Elternteil aus seiner emotionalen Abstumpfung zu befreien und ihm wieder einen Zugang zur eigenen Erinnerung, zu eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu ermöglichen. Hass, gar Mordgedanken werden als sinnvolle und legitime Reaktion auf ein Trauma anerkannt und als kostbares Zeichen von verbliebener Lebenskraft geschätzt. In der erlebnisorientierten Körpertherapie kann der Patient wieder Zugang zu seinen verloren gegangenen Gefühlen finden und diesen Ausdruck verleihen. Die Einbindung in die Therapeutische Gemeinschaft gibt ihm dafür Halt und Schutz und gleichzeitig die Möglichkeit, sich wieder auf nährende körperliche und emotionale Nähe einzulassen und Vertrauen zu erleben.
Die Kinder sind ihrerseits in die verschiedenen Gruppen der therapeutischen (Kinder)-Gemeinschaft eingebunden und können dort lernen, ihre Bedürfnisse zu formulieren und ihren verletzten Selbstwert heilen. Dies alles wird in gemeinsamen Eltern-Kind-Therapieziel-Vereinbarungen mit den Eltern wöchentlich abgestimmt und gesteuert. Innerhalb der Eltern-Kind-Bindungstherapie werden durch geeignete Übungen der authentische Ausdruck von Gefühlen, insbesondere von Wut, verbunden mit der körperlichen Erfahrung, angenommen und gehalten zu werden sowohl bei den Eltern/Erwachsenen als auch bei den Kindern ermöglicht. Je mehr Eltern ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wiederentdecken und befriedigen, desto feinfühliger können sie ihr Kind in seinen Bedürfnissen beantworten. Da dies auch ein schmerzlicher und ängstigender Prozess ist, werden die Intensität und das Tempo der therapeutischen Prozesse auf die Bedürfnisse der einzelnen Familie und deren Mitglieder abgestimmt.
Weitere Informationen gibt es auch unter https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/sexualdelikte/sexueller-missbrauch-von-kindern.html
5 Antworten
Danke, danke an die Menschen die einen nicht Verurteilen für die Gefühle. Die sich aus solchen Lebensereignissen heraus entwickelt haben.
Ich bin sehr froh und Dankbar verstanden worden zu sein, um mich verstanden zu fühlen.
Die Klinik Heiligenfeld Waldmüchen ist meine Adresse, für all die, die echte Hilfe erleben wollen.
Vielen Dank
Liebe Julija, vielen Dank für Ihre Worte! <3
Liebe Frau Schmitt, lieber Herr Girg,
vielen Dank, dass Sie sich diesem schwierigen Thema annehmen! Es betrifft viel mehr Menschen als wir glauben, auch Freunde, Nachbarn, Bekannte. Und niemand spricht drüber. Ob aus Angst oder Scham – dieses Thema ist ein Tabu. Auch mir war die Heiligenfeld Klinik Waldmünchen eine große Hilfe!
Danke an alle Therapeuten dort.
Viele Grüße und weiter so! Es zeichnet sie aus, dass Sie nicht immer nur die angenehmen Themen ansprechen, sondern auch mal dahin hören, wo viele Menschen vergessen werden.
Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich diesen Blog lese und bin dankbar dafür, dass Sie dieses Thema offen ansprechen. Zum einen habe ich während meiner Arbeit in einer Familienberatungsstelle selbst gesehen, welch schwerwiegende Auswirkungen sex. Missbrauch auf Kinder und Jugendliche hat, wie ihr ganzes Leben dadurch beeinträchtigt wird. Zum anderen habe ich während meines eigenen Aufenthaltes in der Parkklinik Heiligenfeld erwachsene Patienten kennengelernt, die noch heute massiv unter den Folgen eines solchen Missbrauchs in der Kindheit leiden.
Die Heiligenfeld-Kliniken bieten in meinen Augen ein sehr gutes umfassendes Behandlungskonzept an, um Betroffene innere Heilung erfahren zu lassen.
Liebe Anne,
vielen Dank für Ihren Kommentar!
Es freut uns, wenn unsere Themen auf Interesse stoßen. Wir möchten dazu beitragen, dass solche Themen öffentliche Beachtung finden und vor allem den Opfern geholfen wird.
Viele Grüße
Kathrin Schmitt