Social Awkwardness: Wenn das Miteinander ausgebremst wird

Mehr als ein Jahr nach Beginn der COVID-19-Pandemie – inmitten der Impfkampagne und der Aufhebung von Kontaktbeschränkungen – fragen sich viele Menschen: „Wie schnell findet mein Leben in die Normalität zurück?“
 

Raus aus dem Kokon

Diejenigen, die sich bereits vor der Pandemie sozial unbeholfen gefühlt haben, wie etwa Menschen mit sozialen Ängsten, können in einer Vermeidungsspirale verhaftet bleiben. Das Leben im letzten Jahr fühlte sich für viele Betroffene wie ein Leben im sicheren Kokon an, versteckt und wohlbehütet. Doch der Kokon droht mit den Öffnungen wieder zu platzen, was sich bedrohlich anfühlen kann.

Soziale Fähigkeiten wie einen Muskel trainieren

Es stellen sich die Fragen: „Wie lerne ich wieder, mit Menschen zu sprechen und mit der sozialen Unbeholfenheit umzugehen, die aus einem Jahr der Isolation resultieren und was können ich tun, um soziale Kompetenzen zu üben, mich wohler zu fühlen und soziale Situationen tatsächlich wieder zu genießen , um zum „normalen“ Leben zurückzukehren?
Forschungsarbeiten mit isolierten Bevölkerungsgruppen wie Soldat:innen, Astronaut:innen oder Gefangenen zeigen, dass soziale Fähigkeiten ebenso wie ungenutzte Muskeln verkümmern können. Wenn Menschen längere Zeit von anderen Menschen isoliert sind, fühlen Sie sich oft unbehaglich und sozial ängstlich.Dies ist nicht automatisch eine psychische Störung, vielmehr handelt es sich um eine kollektive Erfahrung isolierter Menschen.

Wenn wir plötzlich vermeiden, was uns einmal glücklich gemacht hat …

Das Bedürfnis nach sozialen Kontakten hat sich evolutionär entwickelt, weil es uns hilft zu überleben, ähnlich wie unser Bedürfnis nach Nahrung und Wasser. Menschen haben zumeist das tiefe Verlangen, sich einem sozialen Netzwerk anzuschließen. Wenn diese sozialen Bedürfnisse dauerhaft unbefriedigt bleiben, führt dies zu Konsequenzen in Bezug auf unsere geistige, emotionale und körperliche Gesundheit. Die Einsamkeit kann zu Affekten wie Wut, Müdigkeit, Reizbarkeit oder Traurigkeit und sozialer Unbeholfenheit führen.
Anzeichen des neuen Phänomen der „Social Akwardness“ können sein, sich nicht mehr in der Lage zu fühlen, subtile Aspekte sozialer Situationen zu verstehen, das Bedürfnis zu haben mit anderen zusammen zu sein, gleichzeitig ist es aber mühevoll, wenn tatsächlich Zeit mit anderen verbracht wird, die Absichten anderer können falsch zu ausgelegt werden, es fällt schwerer Gestik und Mimik zu interpretieren. Menschen vermeiden plötzlich Dinge, die Ihnen vor der Pandemie Spaß gemacht haben oder erfinden Ausreden, um Treffen zu vermeiden. Soziale Unbeholfenheit ist aktuell eine kollektive Erfahrung, die nicht nur Menschen mit sozialen Ängsten betrifft.

Veränderungen und neue Rituale

Manchen Menschen geht es beim Wiedereintritt in die Gesellschaft besser als anderen. Was aber sind die Faktoren, die bestimmen, wer seine sozialen Schmetterlingsflügel zurückbekommt (oder sie wachsen lässt, wenn Sie sie nie hatten) und wer ins Stocken gerät, scheitert und sich zurückgesetzt fühlt?
Unsere sozialen Fähigkeiten können ein wenig eingerostet sein, es gibt vermehrt Unsicherheiten bei sozialen Ritualen. Wir reichen uns nicht mehr die Hände zur Begrüßung, Umarmungen haben ihre natürliche Unbefangenheit verloren. „Bist Du schon geimpft?“ wird zur neuen Begrüßungsformel. Aufgrund der Pandemie haben sich soziale Routinen dauerhaft verändert.

Wenn die Angst nicht weggeht …

Wenn Menschen feststellen, dass Ihre soziale Angst nicht mehr verschwindet oder sich verschlimmert wird, dann könnte es sein, dass sich ein tieferes psychisches Problem entwickelt hat.
Einige Vorschläge zum Umgang mit „Social Akwardness“:

  • Wenn Sie schwere Angstzustände erleben, die Ihr tägliches Leben stark beeinträchtigen, sollten Sie sich an ihre Ärztin oder ihren Arzt wenden, um professionelle Hilfe zu bekommen.
  • Leichtere soziale Ängste können verbessert werden, indem Sie sich allmählich den Situationen stellen (exponieren), die Ihnen Angst machen, bis Sie sich wieder daran gewöhnt (habituiert) haben.
  • Üben Sie Bewältigungsstrategien für schwierige soziale Situationen, wie Atemübungen oder das Wiederholen positiver Affirmationen.
  • Meditation und Achtsamkeit können helfen, wenn Sie feststellen, dass Ihr Problem hauptsächlich aus Sorgen besteht, die Sie mitreißen und es schwerer machen, an etwas Positives zu denken.
  • Tagebuchschreiben kann eine gute Möglichkeit sein, die zugrunde liegenden Emotionen oder Auslöser im Laufe des Tages zu erfassen. Schreiben Sie jeden Tag darüber, wie Sie sich gefühlt haben und wie es gelaufen ist. Suchen Sie nach Mustern in Ihren Gedanken und Gefühlen und versuchen Sie, Auslöser zu identifizieren, durch die Sie sich schlechter fühlen, damit Sie sich darauf vorbereiten können, sie das nächste Mal zu bewältigen, wenn Sie ihnen begegnen.

 

Wenn Menschen sich aufgrund von „Social Distancing“ und Isolation sozial unbeholfen fühlen, ist es wichtig zu erkennen, dass Sie nicht allein sind. Tatsächlich gab es noch nie in der Geschichte einen besseren Zeitpunkt, um an der Verbesserung Ihrer sozialen Fähigkeiten zu arbeiten – so ziemlich jede/r erlebt aktuell das Gleiche! Soziale Fertigkeiten lassen sich gut trainieren, auch mit Unterstützung von Psychotherapie.

Autor: Sven Steffes-Holländer

Autor: Sven Steffes-Holländer

Sven Steffes-Holländer ist Facharzt für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie sowie Sozial- und Ernährungsmediziner (KÄB).
Er leitet als Chefarzt die Heiligenfeld Klinik Berlin, eine Privatklinik und Tagesklinik für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie.

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