TaKeTiNa – Was ist das?

TaKeTiNa – wenn man nicht weiß, um was es sich handelt, mutet vor allem die Schreibweise dieser Form der Rhythmustherapie ungewöhnlich an. Die großen Buchstaben mitten im Wort symbolisieren den Rhythmus, in dem das Wort in der Therapie gesprochen wird. Und Rhythmus ist das zentrale Element dieser Therapieform. Um was es sich dabei genau handelt, erklärt der Leiter der Kreativtherapien der Heiligenfeld Kliniken Frank Rihm im Interview.

Frank Rhim, Taketina
Frank Rihm

Was genau ist TaKeTiNa?

TaKeTiNa ist eine rhythmische Körperarbeit, die der menschlichen Entwicklung – in Kliniken auch Heilungsprozessen – dient. Wenn Teilnehmer einer TaKeTiNa-Stunde durch gleichzeitiges Gehen, Klatschen und Singen auf sehr strukturierte Art und Weise auf drei Ebenen mit ihrem Körper Rhythmus machen, geht es nicht in erster Linie um musikalischen Rhythmus, sondern in der Tiefe um den gesamten Lebensprozess, in dem Rhythmus eine zentrale Rolle spielt. Rhythmus ist universell, fundamental, und spricht jeden Menschen an, weil Menschen von Natur aus rhythmische Wesen sind. Die Teilnehmer in einer TaKeTiNa-Gruppe spüren die Wirkung von Rhythmus am eigenen Leib, oder besser noch: mitten in ihrem Körper. Gleichzeitig treffen sie mit ihrer individuellen Lebenshaltung auf das Phänomen Rhythmus. Genau an dieser Schnittstelle kann menschliches Wachstum in Gang gesetzt werden. Indem Menschen sich ganzkörperlich mit Rhythmus beschäftigen, sind sie in sich mit einem Bereich verbunden, der weit über alle im Rahmen der eigenen Biographie gemachten Erfahrungen hinausgeht. Gleichzeitig spüren sie, dass die Art und Weise, wie sie mit Rhythmus umgehen, stark geprägt ist von ihren bisherigen Lebenserfahrungen. Rhythmus kommt also nicht von außen, er ist vielmehr in uns angelegt, Man denke nur an den rhythmischen Herzschlag und an die vielen anderen körperlichen Prozesse, die allesamt in bestimmten Rhythmen und Zyklen und oft unter dem Einfluss von Synchronisation – ebenfalls einem rhythmischen Phänomen – ablaufen. In allen rhythmischen Kulturen dieser Welt wird Rhythmus immer mit dem Körper und so gut wie nie mit Hilfe eines Notenblatts gelehrt und gelernt. Außerdem ist er meist an Bewegung und Sprechen und Singen gekoppelt. Daraus ist TaKeTiNa entstanden. In einem organischen Prozess, den Reinhard Flatischler, der Begründer von TaKeTiNa, auf einzigartige Weise entwickelt hat.

Wie läuft TaKeTiNa ab?

Man muss es eigentlich mal erlebt haben, aber im Prinzip läuft es ungefähr so ab: TaKeTiNa findet meistens in einem Kreis von Menschen statt. Alles beginnt dann mit der rhythmischen Sprache: mit Rhythmussilben (z.B. “Ta” – “Ke” – “Ti – “Na”) werden die Teilnehmer vom Leiter in einen Grundschritt (man könnte sagen: ein elementarer Tanzschritt) geführt. Als nächstes wird zu diesem Bewegungsrhythmus im Klatschen ein zweiter Rhythmus etabliert und schließlich singt die Gruppe Melodiebögen des Leiters nach, die an Komplexität zunehmen. Wenn sie von draußen draufschauen, sehen sie also Menschen, die in einem Kreis auf der Stelle gehen, gleichzeitig einen bestimmten Rhythmus klatschen und dazu noch in einem Vor-Nachgesang eingebunden sind. Also tatsächlich eine sehr körperliche Angelegenheit. Das ist jetzt schon ganz schön komplex, denn es entsteht im eigenen Körper eine Polyrhythmik und diese lässt sich nicht rational und mit dem Willen kontrollieren. Menschen sind rhythmische Wesen. Wenn es ihnen gelingt, sich vom Kopf her frei zu machen, schaffen sie es, in diesen mehrdimensionalen Rhythmus zu kommen. Wenn das gelingt – und anfangs ist es vielleicht nur für kurze Momente möglich – dann machen die meisten Teilnehmer eine fundamentale Erfahrung: Es funktioniert etwas, ohne dass der Kopf weiß, wie und weshalb. Sobald das Denken allerdings wieder einsetzt, fallen die Menschen wieder aus diesem speziellen und meist sehr genussvollen Zustand raus. Mit zunehmender Übung können die Teilnehmer dann vielleicht den Zustand des “es geht etwas wie von selbst” mehr und mehr halten.

Was bewirkt Rhythmus? Welchen Effekt hat er auf Geist und Körper?

Rhythmus ist nicht wie eine Apotheke, indem ein bestimmter Rhythmus bei bestimmten Leiden hilft. Aber es gibt allgemeine, grundsätzliche Mechanismen, die mit den Elementen von Rhythmus zu tun haben und die Wirkungen erzeugen, die jemand, der Rhythmus mit dem Körper macht, spüren kann. Er lässt Menschen beispielsweise Halt, Getragensein, Zutrauen, Verbundenheit und viele andere Qualitäten spüren. Menschen lernen damit, für Momente ganz im Hier-und-Jetzt verweilen zu können (und das, während sie aktiv sind und etwas tun), sie fühlen sich plötzlich “in eine innere Ordnung gestellt”, erleben sich klarer und geordneter, sie lernen sich hinzugeben. Und vieles mehr. Und was ich persönlich toll daran finde: Rhythmus wirkt völlig unabhängig von Kultur, Religion, Philosophie und persönlicher Haltung.

Welchen Nutzen hat TaKeTiNa in der Psychotherapie? Was beobachten Sie bei Ihren Patienten?

Als ich vor über 20 Jahren damit begonnen habe, in Heiligenfeld TaKeTiNa® im klinischen Setting einzusetzen, habe ich sehr schnell gemerkt, welche Kraft in dieser Arbeit steckt: Einerseits stellt sie den Teilnehmern viele Qualitäten als Erfahrung zur Verfügung, andererseits wirkt das ganze Setting wie ein riesengroßer Spiegel für das eigene Erleben und Handeln. Damals hat noch kaum jemand davon gesprochen, wie wichtig es ist, in der Psychotherapie auch Ressourcen mit zu bedenken. Aber genau das ist es, was die Methode so wertvoll macht: einerseits Ressourcen, andererseits eine ständige vertiefende Erfahrung des eigenen Selbst. Wenn beides zusammenkommt, dann geschieht eben das Neue. Menschen bringen blockierte Wachstumsprozesse wieder in Bewegung und die Qualität des eigenen Lebens nimmt zu. Dabei ist jeder Teilnehmer frei, selbst zu entscheiden, wieviel davon er wirklich anschauen will.

Was berichten ihre Patienten über diese Form der Rhythmustherapie?

Unsere Patienten, die an TaKeTiNa teilnehmen, melden uns immer wieder zurück, dass sie sich viel organisierter, viel strukturierter fühlen. Der Rhythmus bringt sie in eine Ordnung rein. Sie können Dinge plötzlich klarer sehen. Das betrifft auch ihr Innenleben. Sie erfahren Klarheit im Geist. Dadurch ändert sich auch der Umgang im Alltag mit sich und anderen Menschen. TaKeTiNa kann je nach Setting auch mobilisierend wirken. Vor allem dann, wenn es im Verlauf komplexer wird. An dieser Stelle erfolgt häufig eine Konfrontation mit den eigenen Verhaltensmustern. Wenn ich beispielsweise jemand bin, der sehr kontrolliert und kontrollierend ist und ich trete plötzlich auf eine sehr energetische Weise mit Rhythmus in Kontakt, dann komme ich unweigerlich an den Punkt, an dem ich feststelle, dass ich Rhythmus nicht kontrollieren kann. In dem Moment, in dem ich Rhythmus kontrolliere oder zu kontrollieren versuche, ist er weg. Was bleibt ist eine maschinenartige Bewegung und kein lebendiger Rhythmus mehr. Oder man fällt komplett aus dem Rhythmus raus.

Was passiert, wenn Menschen aus dem Rhythmus kommen?

Das geschieht oft: Menschen fallen aus dem Rhythmus raus, kommen wieder rein, fallen wieder raus, kommen wieder rein. Sie machen dann die Erfahrung, wie es ist, nicht nur aus TaKeTiNa, sondern auch aus dem Leben rauszufallen. Das mag eigentlich niemand. Der Grund für diese Gefühl ist ein Wahrnehmen auf einer ganz tiefen Ebene. Nun kommt ein weiteres Gefühl dazu. Nämlich das Erleben wieder zurück zu kommen. Schließlich wird ein Zustand erreicht, in dem der Prozess des Rausfallens und wieder Reinkommens wie von selbst funktioniert und die Teilnehmer vielleicht erfahren, dass sie im eigentlichen Sinne gar nicht rausfallen können. Die Person befindet sich in einem anderen Bewusstseinszustand. Sie  merkt, dass sie nicht alles kontrollieren muss. Jeder Patient erlebt TaKeTiNa sehr individuell.

Welchen Effekt beobachten Sie noch?

Neben dem Effekt des Getragenwerdens hat jeder seine individuelle Biografie. Dinge, die man im Leben erworben und sich angeeignet hat, die durch TaKeTiNa an die Oberfläche kommen können: Wie erlebe ich die Welt? Und wie reagiere ich auf die Welt? Kann ich bei mir und meinem Erleben bleiben, oder verliere ich mich ständig im Außen? Wie gehe ich mit Polaritäten um, und wie mit scheinbar gegenläufigen Gefühlen und Wünschen in mir? Bin ich so perfektionistisch, dass die Freude am Leben und das Genießen auf der Strecke geblieben sind? Dies sind nur einige wenige Beispiele von persönlichen Themen, die den Teilnehmern plötzlich bewusst werden, weil sie eine vertiefte Erfahrung machen. Die Informationen hierzu kommen aus meinem Inneren und nicht weil mich ein Therapeut darauf hingewiesen hat. TaKeTiNa kann so auch der Auslöser für einen kognitiven Prozess sein, indem man anfängt sich bewusst selbst wahrzunehmen, also dass man sich selbst von außen beobachtet und dadurch beginnt, sein Selbstbild zu verändern. Nicht selten berichten Patienten davon, dass ihre Schmerzen, wenn sie ganz im Hier und Jetzt der rhythmischen Erfahrung aufgegangen sind, verschwunden sind. Für jemanden, der beispielsweise ständig in seinem Leben Schmerzen hat, ist das eine ungeheure Erfahrung: es gibt einen Zustand jenseits von Schmerz (auch wenn er vielleicht nachher wieder kommt).

Hat TaKeTiNa auch Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl?

Ja, auf jeden Fall. Patienten, die an TaKeTiNa teilnehmen, machen eine weitere Erfahrung: Unabhängig wie stark oder groß ihre Beschwerden sind, sind sie Teil einer Gruppe und leisten einen Beitrag für diese. Sie haben Bedeutung und tragen etwas zum Ganzen mit bei. Daran ändert sich auch nichts, selbst wenn sie zwischendurch aus dem Rhythmus und somit scheinbar aus der Gruppe rausfallen. Der Rhythmus bricht dadurch nicht zusammen. Vielmehr merkt der Einzelne, dass er aus der Gruppe rausfallen darf und nichts passiert. Fehler machen ist erlaubt.

Frank Rihm leitet den kreativtherapeutischen Bereich in den Heiligenfeld Kliniken und unterrichtet TaKeTiNa seit rund 30 Jahren. Er gehört zu einem festen Stab an Personen weltweit, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese Rhythmusarbeit weiter zu vermitteln. Rihm ist dabei für den Therapiebereich zuständig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Nachfolgend sehen Sie ein kurzes Video über die Tanz- und Rhythmustherapie in den Heiligenfeld Kliniken

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