Was hilft gegen den Corona-Burnout?

Interview von Nele Justus, erschienen

im „Faktor A – Das Arbeitgebermagazin“ am 06. Januar 2021

Die Pandemie beeinträchtigt unsere Psyche. Der Mediziner Joachim Galuska meint sogar: Wir steuern auf eine Burnout-Welle zu. Hier erklärt er, was jeder Einzelne tun kann, um nicht in ein Loch zu fallen, und wie wir unsere Resilienz jetzt stärken.

Faktor A: Herr Galuska, steuern wir auf einen Corona-Burn-out zu?

Dr. Joachim Galuska: Davon bin ich überzeugt. Schon seit etwa zehn Jahren können wir sehen, dass Krankschreibungen und Frühverrentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen deutlich zunehmen. Etwa jeder Fünfte entwickelt pro Jahr eine seelische Störung. Und das war schon vor Corona so. Seit dem Beginn der Pandemie sehen wir, dass unglaublich viele Menschen in einer ständigen Angst und Überforderung leben. Gesellschaftlich ist die Burnout-Welle nicht mehr aufzuhalten. In unseren Kliniken liegen die Anfragen für eine stationäre Behandlung schon jetzt 50 Prozent über dem Vorjahr. Und es werden noch mehr werden. Aber natürlich kann jeder Einzelne etwas tun!

Was genau macht die Krise mit unserer Psyche?

Sie potenziert und triggert Probleme, die schon vorher da waren. Und sie belastet uns ungemein. Die Leute haben Angst – vor der Krankheit, vor dem Verlust von lieben Menschen, vor dem Verlust ihrer Arbeit. Gleichzeitig prasseln neue Anforderungen auf jeden von uns ein – wie Homeoffice, Homeschooling, neue Regeln und Verbote, die wir befolgen sollen. Jeder will sich vernünftig verhalten, ist aber auch verunsichert: Was ist denn überhaupt vernünftig? Für die Psyche ist das ein Dauerstress. Eine permanente Anspannung, die von der ständigen Informationsflut noch weiter befeuert wird. Ein Teil der Bevölkerung kann das gut aushalten. Aber viele sind damit eben überfordert.

Warum können manche Menschen diese  Situation besser bewältigen als andere?

Es gibt Menschen, die resilient sind, also eine gewisse Widerstandsfähigkeit besitzen. Sie haben oft schon früh gelernt, sich selbst zu vertrauen, zu handeln, optimistisch zu sein und zu glauben, dass sie Wege finden werden im Leben. Andere haben sich diese Fähigkeit angeeignet, indem sie selber durch schwere Krisen gegangen sind. Das gibt ihnen auch jetzt Hoffnung und Kraft, diese Pandemie und die gestiegenen Belastungen zu meistern. Aber es gibt eben auch einen Teil der Gesellschaft, der es nicht schafft, die Anforderungen zu bewältigen. Die müssen ständig damit kämpfen. Und das hält man nur eine Zeit lang aus. Etwa sechs Monate, wie wir aus der Burn-out-Forschung wissen. Dann zeigen sich die ersten Anzeichen.

Welche sind das? Worauf kann ich achten?

Die ersten Anzeichen sind hohe Angespanntheit, Überaktivität, der Versuch, irgendwie noch alles hinzukriegen. Sie merken, dass die Leute gereizt sind, dass ihr Aggressionspotenzial ein bisschen höher ist als sonst. Dann, in der nächsten Phase, beginnt der Leistungsabfall. Da kommen Konzentrationsprobleme dazu, Schlafstörungen. Die ziehen Erschöpfungssymptome nach sich wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit und dieses Gefühl: Ich schaff’ das alles nicht. Dem folgt eine Art Entfremdung. Mir kommt alles, was ich tue, irgendwie komisch oder fremd vor. Als Letztes haben wir erst den inneren Rückzug und dann auch den äußeren. Und dann kommt der totale Zusammenbruch.

„ALLEIN DAS NACHDENKEN ÜBER MEINE ÄNGSTE MACHT VIELE SCHON EINMAL KLEINER.“                 

Was kann ich tun, um dem Burnout entgegenzuwirken?

Generell ist es so: Je hilfloser und ohnmächtiger ich mich fühle, desto größer ist die Gefahr eines seelischen Absturzes. Deswegen kann ich im ersten Schritt versuchen, mich mit meinen Ängsten realistisch auseinanderzusetzen und die einzelnen Aspekte zu differenzieren.

Wie mache ich das genau?

Ich kann mich fragen: Wie viel Angst habe ich wirklich, selber krank zu werden? Wie viel Angst habe ich, andere anzustecken und sie möglicherweise zu verlieren? Wie viel Angst habe ich, meinen Arbeitsplatz zu verlieren oder meine berufliche Existenz, wenn ich selbstständig bin? Das sind alles ganz unterschiedliche Ängste, die ich am besten nüchtern betrachte.

Aber genau das ist ja das Schwierige bei Angst.

Stimmt. Was man wissen muss: Angst ist ein Signalgefühl, das schon seit Urzeiten in uns verankert ist. Sie zeigt uns: Da ist eine Bedrohung. Wir Menschen haben verschiedene Abwehrstrukturen entwickelt, um mit Angst umzugehen. Wir emotionalisieren, dramatisieren, verleugnen und bagatellisieren sie. Da ist es schwierig, eine realistische Mitte zu finden. Aber allein das Nachdenken über meine Ängste macht viele schon einmal kleiner. Und: Es macht mich handlungsfähig.

Wie meinen Sie das?

Es führt dazu, dass ich den nächsten Schritt gehen kann. Habe ich etwa ein Restaurant und Angst davor, es zu verlieren, dann überlege ich: Wie lange kann ich durchhalten? Was brauche ich an finanzieller Kompensation? Wenn ich das ausgerechnet habe, kann ich mit meiner Bank reden, mit den Angestellten. Ich kann aktiv werden. So komme ich aus der Hilflosigkeit und der Opferrolle raus. Das ist ganz wichtig. Das macht mich stark, kompetent und resilient.

„JEDE KRANKHEIT KANN DAZU FÜHREN, DASS  WIR TIEFER ÜBER DAS LEBEN NACHDENKEN.“ 

Was kann ich noch tun, um meine Psyche zu stärken?

Ganz wichtig ist ein Social-Support-System. Wir brauchen unsere Freunde, die Familie, die Kollegen, weil sie uns emotionale Unterstützung geben, uns regulieren und uns auffangen. Das ist bei Burnout-Prozessen essenziell. Deswegen ist allein der Begriff „Social Distancing“ so katastrophal, weil er den Rückzug, ob nun freiwillig gewählt oder nicht, positiv begründet. Dabei sind soziale Bindungen ganz entscheidend, um gesund zu bleiben und fähig zu sein, mit Krisen umzugehen. „Physical Distancing“, wie man in anderen Ländern sagt, ergibt daher viel mehr Sinn. Denn Abstandhalten ist ja sinnvoll, nur der soziale Rückzug ist furchtbar, weil er einem die entscheidende Kraft nimmt, nicht abzustürzen.

Das heißt: Es ist jetzt für jeden wichtig, sein eigenes

Netzwerk zu pflegen oder zu halten?

Bei vielen Menschen sortieren sich auch Freundschaften gerade neu. Sie stellen fest, mit wem sie sich andauernd streiten und mit wem sie gut reden können und wer ihnen guttut. Manchmal stellt schon das Gespräch allein die Heilung dar. Das Erste, was man tun sollte, ist also, überhaupt miteinander zu reden.

Wie wichtig ist das gerade auch als Arbeitgeber?

Es wäre sehr gut, wenn ich als Vorgesetzter einfach mal fragen würde: Wie geht’s euch? Wie läuft es zu Hause? Gibt’s Probleme? Das zeigt echte Fürsorge. Viele Chefs sind oft nur zu scheu, die Dinge anzusprechen. Dabei sind wir in dieser Phase in erster Linie Menschen mit ähnlichen Problemen, die auf Augenhöhe kommunizieren können und sollten. Es geht ja darum, eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der meine Mitarbeiter das Gefühl bekommen, gesehen und unterstützt zu werden. Das spielt generell eine wesentliche Rolle im Arbeitsleben – und wird jetzt durch Corona nur noch wichtiger. Denn auch Arbeit kann meine Resilienz fördern und uns gegen den Stress stärken.

Aber bekommen nicht manche gerade durch die Arbeit einen Burnout?

Ja, das stimmt. Arbeit kann unsere Gesundheit fördern, aber ihr auch schaden. Wenn es richtig läuft, dann ist sie aber der Ort, wo ich mich mit Sinn erfülle. Und das ist eine ganz wichtige Säule der Resilienz. Wenn ich allerdings bei der Arbeit dauernd gegen meine Werte verstoßen muss, werde ich nicht glücklich. Dann ist vielleicht jetzt der Moment gekommen, innezuhalten und sich der Frage zu stellen: Was müsste ich an meiner Arbeit verändern, damit ich wieder zufrieden bin? Oder: Will ich das überhaupt noch?

Also Corona als Chance für einen Neuanfang nutzen?

Überhaupt erst mal sehen, dass Corona nicht nur eine Katas-

trophe ist, sondern mir wie jede andere Krankheit auch Chancen bietet. Jede Krankheit kann nämlich dazu führen, dass wir tiefer und existenzieller über das Leben nachdenken. Denn plötzlich merke ich, was wesentlich ist, worum es mir in meinem Leben wirklich geht und was die eigentlichen Werte sind. Das hilft mir in allen Lebensbereichen weiter. In meiner Beziehung, bei Freundschaften und bei der Arbeit.

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