Psychische Erkrankungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Abhängigkeitserkrankungen usw. – in Deutschland leidet knapp 30 % der Bevölkerung im Laufe eines Jahres an mindestens einer psychischen Störung. Die Betroffenen erleben eine enorme Einschränkung ihrer Lebensqualität, kennen Gefühle der Hilf- und Hoffnungslosigkeit und manchmal auch den Wunsch, dem Leiden ein Ende setzen zu wollen. Zwar gibt es mittlerweile eine ganze Bandbreite wirksamer Behandlungsmöglichkeiten; dennoch werden nicht einmal 40 % aller psychisch erkrankten Personen tatsächlich therapeutisch versorgt. Noch immer gelten psychische Erkrankungen in weiten Teilen als stigmatisierend, sind enorm schambesetzt und werden verschwiegen, solange es geht. Oder sie werden so “deklariert”, dass mit der Erkrankung gleichzeitig auch eine Botschaft verknüpft ist: Burnout als Folge eines übermäßigen Leistungsstrebens, eines anhaltenden Beschäftigt-Seins und letztlich einer Verausgabung, die notgedrungen eine Zwangspause erfordert, weil “der Motor heiß gelaufen ist”. Doch ist das wirklich so? Trifft Burnout nur die Fleißigen? Was ist Burnout überhaupt? Und gibt es einen wirksamen Schutz dagegen? René Greiner, Diplom-Psychologe, arbeitet seit 2011 in den Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen. Menschen im Zustand der körperlich-geistigen Erschöpfung finden hier wirksame Unterstützung und Hilfe. Welche Möglichkeiten sieht er, einem Burnout vorzubeugen?
Herr Greiner, ist ein Burnout wirklich der Beweis dafür, dass der oder die Betroffene alles gegeben hat, über sich selbst hinausgewachsen ist und jetzt schlichtweg “ausgepowert” ist? Kann ich mit einem Burnout meine eigene Leistungsbereitschaft quasi bestätigen?
Ich glaube, viele sehen es tatsächlich so, im Sinne von: “Ich habe für eine Sache gebrannt, mich voll und ganz reingegeben und erlebe mit einem Burnout dann den Punkt, an dem nichts mehr geht.” Manche mögen das durchaus als Bestätigung oder vielleicht als verquere Form von Anerkennung verstehen, vor allem auch sich selbst gegenüber. Hier geht es oft darum, sich etwas beweisen zu wollen – wie leistungsfähig ich bin, wie beharrlich und ausdauernd. Das beinhaltet auch: Sich durchsetzen gegenüber einer tatsächlichen oder vermeintlichen Konkurrenz. Dass der Preis hierfür sehr hoch ist, merken viele dann erst, wenn wirklich gar nichts mehr geht.
Wie erleben Sie in ihrer Klinik Menschen, die an einem Burnout leiden? Gibt es etwas, was den “typischen” Burnout-Patienten kennzeichnet?
Hier ist es wichtig zu wissen, dass Burnout selbst keine eigenständige Erkrankung im medizinischen Sinne darstellt. Wie sich ein Burnout beim Einzelnen ausdrückt, kann ganz unterschiedlich sein. Wir verstehen Burnout als einen Prozess, der verschiedene Phasen umfasst und sich mehrere Jahre lang hinziehen kann, bis – etwas salopp gesagt – der Punkt des Zusammenbruchs erreicht ist. Die Betroffenen kommen dann mit einer Angststörung, einer Abhängigkeit oder klassischerweise mit einer Depression in unsere Klinik. Im Verlauf der Behandlung, wenn es auch um die Vorgeschichte und die Lebenssituation geht, werden die Belastungsumstände jedes Einzelnen dann deutlich. Eine Burnout-Entwicklung kann jeden treffen, aber es gibt Risikofaktoren: Perfektionismus, ein hohes Maß an Verantwortungsübernahme bzw. das Gefühl, verantwortlich zu sein, ein großes Engagement für das, was ich tue, sich etwas beweisen wollen, nichts falsch machen wollen, alles kontrollieren wollen usw.
Dabei entsteht ein Burnout aber nicht automatisch, wenn ich für eine Sache brenne, sondern nur dann, wenn ich mich darüber selbst verliere, den Kontakt zu meinen inneren Werten, meinen Bedürfnissen und meiner inneren Orientierung, kurz gesagt: Wenn ich mich von mir selbst entfremde.
Wenn man Burnout – so wie Sie das tun – als Entwicklung begreift: An welchem Punkt sollte man aufmerksam werden? Wo sollte man reagieren, und wie tut man das am besten?
Es gibt eine Reihe von “Frühwarnzeichen”, die erkennen lassen, dass ein Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und Regeneration besteht. Die Herausforderung besteht darin, diese Signale zu erkennen und vor allem ernst zu nehmen. Üblicherweise reagieren Betroffene auf ein Absinken der Leistungsfähigkeit damit, den Fuß quasi noch mehr aufs Gas zu stellen, anstatt innezuhalten und zu schauen, was gerade mit ihnen los ist. Gegen Kopf- und Rückenschmerzen helfen Tabletten, die Vernachlässigung gemeinsamer Aktivitäten mit den Freunden wird durch die Wichtigkeit der Arbeit entschuldigt und das Glas Wein am Abend hilft, runterzukommen. Das Problem wird hierdurch aber nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschärft. Wirklich aufmerksam sollte man dann werden, wenn man gar nicht mehr zur Ruhe kommt, wenn die Stimmung schlechter wird, wenn Schlafstörungen auftreten, Gereiztheit, Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen. Es gibt nicht das eine Warnzeichen, das bei jedem auftritt und den Zusammenbruch einläutet; dafür sind wir Menschen zu unterschiedlich und die Ursachen für eine Erschöpfung im Sinne des Burnout zu komplex. Wenn ich – oder manchmal auch vorher schon mein Umfeld – aber feststelle, dass sich mein Verhalten ändert, ich immer öfter gedanklich abwesend bin, emotional abstumpfe oder besonders empfindlich reagiere, mich zurückziehe und Nachts kein Auge mehr zu tun kann, dann ist dringend Hilfe geboten. Das Gespräch mit dem Vorgesetzten kann dann schon zu spät sein; besser ist der Kontakt zu einem Fachmann, einem Arzt oder Psychotherapeuten, der objektiv und von außen eine Einschätzung vornehmen kann. Eine ambulante Psychotherapie kann helfen; manchmal ist aber auch eine stationäre Behandlung angezeigt. Durch die Distanz zum alltäglichen Lebensumfeld und die intensivere Therapie wird den Betroffenen geholfen, wieder zu sich zu kommen.
Sie verfolgen in ihrer Klinik seit deren Gründung im Jahr 1990 ein ganzheitliches Therapiekonzept, mit einer besonderen Berücksichtigung von Elementen aus der Achtsamkeit und Meditation. Warum ist dies gerade für Patienten mit einer Burnout-Symptomatik so hilfreich?
Kurz gesagt: Weil es hilft, wieder besser mit sich in Kontakt zu kommen, mit den eigenen Werten, Zielen und Bedürfnissen. Meditation und Achtsamkeit finden generell immer mehr Einzug in die Psychotherapie. Es geht um Akzeptanz dessen, was ist, um ein bewertungsfreies Hinschauen im ersten Schritt, dann aber auch um die Frage, was ich in meinem Leben verändern will und kann, um so zu leben, wie es mir entspricht. In den Heiligenfeld Kliniken versuchen wir schon immer, den ganzen Menschen wahrzunehmen, nicht nur seine Störung oder seine Diagnose, nicht nur das problematische Verhalten usw., sondern alle Aspekte und Teilbereiche – Körper, Seele, Geist, soziale Beziehungen, berufliche Situation. Achtsamkeit und Meditation sind hier überaus wertvolle Methoden, die helfen, den eigenen Blick zu klären.
Meditieren Sie selbst auch?
(lächelt) Ich gebe zu, dass mir das nicht ganz leicht fällt. Zumindest dann nicht, wenn Sie damit meinen, sich hinzusetzen und den Atem zu beobachten. Meditieren – oder achtsam sein – kann man auf ganz unterschiedliche Art und Weise, und nicht für jeden ist jede Methode gleich gut geeignet. Was ich regelmäßig in meinen Tagesablauf einzubauen versuche, sind Momente des Nichtstuns. Ich unterbreche meine aktuelle Tätigkeit, lehne mich auf meinem Stuhl zurück und schaue aus dem Fenster. Ich denke an nichts Spezielles, sondern lasse meine Gedanken und meinen Blick einfach “frei”. Das hilft mir ungemein, wieder in Kontakt mit mir zu kommen, liefert mir neue Ideen oder präsentiert mir die Lösung für ein Problem, an das ich gar nicht bewusst gedacht habe. Nichtstuns ist somit für mich keinesfalls Zeitverschwendung, sondern ganz im Gegenteil eine große Unterstützung für meine eigene Kreativität und Produktivität.
Was raten Sie jemandem, der dieses Interview liest und vielleicht bei sich erste Anzeichen einer Erschöpfung feststellt?
Diese Signale ernst zu nehmen! Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich befinde mich tatsächlich auf dem Weg zu einem körperlich-geistigen Zusammenbruch und sollte mir schnellstmöglich Unterstützung holen. Oder ich bin aus Gründen gestresst, überreizt oder überfordert, die eher temporärer Natur sind und vielleicht auch von alleine wieder vorbeigehen. Dann habe ich trotzdem meine Bedürfnisse wahrgenommen und kann überlegen, was ich gerade brauche, um nicht noch gestresster, überreizter oder überforderter zu werden. Gleichzeitig kann sich aus einer zeitweisen Belastung natürlich auch eine dauerhafte ergeben. Letztlich ist es nie verkehrt, öfter innezuhalten und sich zu fragen: “Wie geht’s mir gerade? Was ist los in meinem Leben, wie komme ich damit zurecht und was fehlt mir vielleicht?” Und oft ist es leichter, diese Fragen gestellt zu bekommen, anstatt sie sich selbst zu stellen.
3 Antworten
Ein interessantes Bild – aber welche Bedeutung hat es ? Ich rätsele …
Liebe Zuzanna-Teresa,
dieses Bild ist bei uns im Heiligenfeld Saal der Parkklinik Heiligenfeld aufgenommen worden und entstand während eines Kunstprojekts in der Klinik. Die Patienten haben für sich Stellvertreter aus Ton hergestellt, die sie symbolisch in den Meditationskreis gesetzt haben. Wir fanden, dass es auf künstlerische Art und Weise zu diesem Beitrag passt. Menschen, die den Kontakt zu sich verloren haben, versuchen ihn, über Achtsamkeit – in diesem Fall Meditation – wieder herzustellen. Zugegeben: Das Bild lässt viel Freiraum für Interpretation. 🙂
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Kathrin Schmitt
[…] mit sich in Kontakt zu kommen, mit den eigenen Werten, Zielen und Bedürfnissen. Meditation und Achtsamkeit finden generell immer mehr Einzug in die Psychotherapie. Es geht um Akzeptanz dessen, was ist, um […]