Spezielle Belastungssituationen und Therapien für ältere Arbeitnehmer und Menschen im Ruhestand

Jünger, jünger, jünger! Der Jugendwahn hat Einzug in die Arbeitswelt gefunden. Viele Arbeitgeber vergessen dabei, dass der Erfahrungsschatz älterer Arbeitnehmer durch die jugendliche Unbekümmertheit nicht zu ersetzen ist. Eine gesunde Mischung aus Jung und Alt wäre aus meiner Sicht das Optimum. So könnten die Jungen von der Erfahrung der Älteren und die Älteren von der Ideenkraft und Unbekümmertheit der Jungen lernen. In der Realtität sieht es aber oft ganz anders aus. Arbeitnehmer im mittleren Alter tun sich schwer auf dem Arbeitsmarkt. Manchmal steht der Nachfolger schon in den Startlöchern und wartet schon darauf, dass der Stelleninhaber endlich in Altersteilzeit oder Vorruhestand geht. Oder man wird arbeitslos und muss sich Anfang fünfzig noch einmal einen neuen Job suchen. Allein dieses Vorhaben ist manchmal ein Ding der Unmöglichkeit. Hat man es schließlich bis zum Rentenalter geschafft, drohen Langeweile und die Sinnfrage. War man doch jahrelang gebraucht und hatte einen festen Tagesrhythmus. Plötzlich soll das alles vorüber sein? Viele Menschen kommen in dieser Situation in eine psychische Notlage. Mein Kollege Ralph Sandvoß hat sich deshalb mal mit unserem Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld, Erwin Schmitt, über dieses Thema unterhalten.

Guten Tag Herr Schmitt.

Erwin-SchmittSie bieten in Ihrer Klinik ein spezielles Behandlungskonzept für ältere Arbeitnehmer und Menschen im Ruhestand, die an psychosomatischen Erkrankungen leiden. Was hat Sie veranlasst diese Patientengruppe spezieller ins Auge zu fassen und ein besonderes Therapiekonzept zu entwickeln?

Zunächst hat natürlich jede Altersstufe ihre besonderen Herausforderungen. Wie Sie aber auch wissen und der aktuellen Diskussion über die demographische Entwicklung in Deutschland entnehmen können, wird der Anteil älterer Menschen an der deutschen Bevölkerung immer größer. Das hat Konsequenzen – nicht nur in der Frage  der  Neugestaltung der solidarischen Sozialversicherungssysteme. Es verändern sich auch die sozialen Strukturen, das Zusammenleben in Familie und Beruf, es verändern sich die Selbst- und die Fremdwahrnehmung der Älteren, es verändern sich der Umgang mit Älteren, es verändern sich Anforderungen und Erwartungen.

Damit entstehen für den Einzelnen neue Anpassungsnotwendigkeiten, Konfliktfelder und Belastungssituationen, die individuell Betroffene in eine Überlastung führen können. Wir wollen Menschen unterstützen mit diesen neuen Belastungssituationen besser zurechtzukommen und auftretende psychosomatische Erkrankungen zu vermeiden, zu verringern oder zu heilen.

Was sind denn spezielle Belastungssituationen für Ältere? Was bringt ältere Menschen in eine psychische Überlastung?

Guy allonge sur le ventre,mains jointes

Belastungssituationen für Ältere können sehr unterschiedlich sein. Ich möchte einmal ein paar Phänomene beschreiben, die wir häufiger beobachten können und diese als spezielle Krisen bezeichnen. Da ist zum einen die Gratifikationskrise, in die besonders ältere Arbeitnehmer geraten können. Ältere Arbeitnehmer fühlen sich von ihren Arbeitgebern häufig vernachlässigt, unzureichend gewürdigt, sie empfinden nicht mehr den gleichen Wert wie früher. Ihre Produktitivät und Innovationskraft wird in Frage gestellt, sie werden nicht in gleichem Maße z.B. durch Fortbildungen gefördert wie Jüngere, fühlen sich ausgegrenzt oder gar gemobbt, ihre Erfahrung ist wenig gefragt. Das mangelnde Erleben von Wertschätzung, Selbstwirksamkeit, Integration und Weiterentwicklung führt dann häufig zu Demotivation, Rückzug bis hin zur inneren Kündigung, damit verbunden sind Symptome von Depression und Burnout.

Gerade Führungskräfte oder Leitende, die früher an wichtigen Entscheidungen beteiligt und in ihrer Position angesehen waren, erleben diese Veränderung und diesen Selbstwertverlust als manifeste Sinnkrise. Eine solche Sinnkrise kann  sich mit dem Eintritt in den Ruhestand noch verschärfen. Hier werden wirklich existentielle Fragen nach dem Sinn ihres Daseins und nach ihrem Beitrag zur menschlichen Gesellschaft aufgeworfen.

Auch die sozialen Veränderungen in der Familie und im Beruf können Ausgangspunkt einer manifesten Krise sein –  ich nenne sie einmal Beziehungskrise. Zum einen fehlen nach dem Erwerbsleben häufig die Kontakte aus dem Arbeitsumfeld – nicht wenige Ältere fühlen sich isoliert und einsam. Aber auch in den familiären und partnerschaftlichen Beziehungen finden Veränderungen statt. „Man hockt sich nun ständig auf der Pelle“ – beschrieb das ein Patient von mir. Als Partner ist man also ganz neu gefordert zu kommunizieren, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln, Konflikte auszutragen.

Nicht zuletzt können auch Beziehungsabbrüche durch Trennung, die Kinder ziehen aus oder der Tod eines Angehörigen zu einer schweren Belastung werden.

Wie wollen Sie diesen Krisen begegnen und speziell den Älteren helfen?

Zunächst kommen die älteren Menschen ja mit einer Diagnose zu uns. Sie leiden unter Depressionen, Anpassungsstörungen, zeigen Suchtverhalten, erscheinen traumatisiert, haben Panikattacken, Ängste oder akute Belastungsstörungen. Für solche Indikationen haben wir klinische Leitlinien, denen wir in der Therapie folgen. Diese sichern den strukturierten und effektiven Therapieverlauf.

Aber der erkrankte Mensch ist nicht nur in seinem Krankheitsbild zu sehen, vielmehr als ganzer Mensch wahrzunehmen – mit seinen aktuellen Bedürfnissen, seinem individuellen seelischen und körperlichen Leiden und seiner persönlichen Biographie.

In unserem therapeutischen Handeln beziehen wir wirklich alle Ebenen der Person mit ein: die erkrankte Seele, den Körper, die geistig-spirituelle Ebene, die sozialen Beziehungen und die berufliche Situation. Die Frage nach dem Sinn unseres Daseins und unseres Handelns findet ausdrücklich Beachtung.

Was gibt es denn für konkrete, spezielle Therapieangebote, die speziell die Älteren unterstützen können?

Neben den störungsspezifischen Therapieangeboten bieten wir eine Vielzahl an kreativtherapeutischen und körpertherapeutischen Angeboten. Der Behandlungsplan wird gemeinsam mit dem Patienten erstellt. Unsere Patienten können und gerade die Älteren sollen aktiv mitgestalten. Damit soll bereits die eigenverantwortliche Grundhaltung gestärkt und Aktivität gefördert werden. Je nach individueller Problemsituation können dann spezielle Therapiegruppen ausgewählt werden.

Geht es beim Patienten z. B. vorrangig um eine Entlastung und Regeneration dann kommen häufig nährenden Therapiegruppen wie „Sinne und Massage“, „Sanfte Bewegung im körperwarmen Wasser“, „Sexualität und Sinnlichkeit“ zur Anwendung. Geht es eher um den Ausdruck und die klärende Auseinandersetzung im Beziehungskontext, sind Gruppen wie „Beziehung und Kommunikation“, „Kunsttherapie und Ausdrucksmalen“, oder „Aggressionsgruppe“ geeignet. Geht es wiederum mehr darum, die eigene Struktur, Stabilität, Selbstwahrnehmung und Selbstwertgefühl zurückzugewinnen oder zu fördern, wählen wir vielleicht Gruppen wie „Rhythmustherapie“ oder „Heilkraft der Stimme“.

Wir haben auch spezielle Angebote für ältere Arbeitnehmer in Führungspositionen. In einer Spezialgruppe, wir nennen sie auch Führungskompetenz-Gruppe, können Menschen in besonderer beruflicher Verantwortung Methoden der effektiven Selbststeuerung oder des Stressmanagements lernen, sie können sich mit ihrer besonderer Führungsrolle auseinandersetzen und erleben einen offenen Erfahrungsaustausch mit Menschen in ähnlichem beruflichen Kontext.

Bei Bedarf wird auch Paartherapie angeboten.

Ich vermute, diese Therapiegruppen sind nicht ausschließlich für ältere Patienten.

Das ist richtig. Wir wollen ja in der Therapie nicht die gleiche Separation von Jung und Alt durchführen, wie sie in vielen Bereichen der Gesellschaft bereits passiert – ganz im Gegenteil. Das in unseren Kliniken verankerte Konzept der therapeutischen Gemeinschaft mit gegenseitiger Unterstützung ist ein wichtiger heilsamer und nährender Rahmen für die Heilung unserer Patienten. Hier kommen Patienten aller Altersstufen zusammen.

Was gebe es den präventiv zu tun, um diesen Krisen und psychosomatischen Erkrankungen vorzubeugen?

Unsere Kernaufgabe befindet sich natürlich im Bereich der Therapie, aber wir engagieren uns auch im Bereich der Prävention. Ansatzpunkte der Vorbeugung sind sowohl im Verhältnis- als auch im Verhaltensmanagement zu sehen.

Mit einem verbesserten Verhältnismanagement zielen wir darauf ab, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Ältere zu verbessern. Altersgerechte Arbeitsgestaltung, adäquate altersgerechte Mitarbeiterführung, wertschätzende Kommunikation, integrative Organisationskultur sind wichtige Themen in den Betrieben, in den Krankenhäusern, Verwaltungen und Schulen. Dazu halten wir z.T. auch Vorträge, um zu mehr Bewusstheit in den Organisationen beizutragen. Es geht auch im größeren Zusammenhang darum, das Alter zu würdigen und der zum Teil stattfindenden Stigmatisierung älterer Menschen entgegenzuwirken.

Individuelles Verhaltensmanagement meint eine bewusste und gesundheitsorientierte Lebensführung. Hier gibt es bei den meisten Menschen gewisse Verbesserungspotentiale. Vereinfacht könnte man sagen: „Bis 40 kann man Sport machen, ab 40 muss man Sport machen!“. Dies betrifft den Aspekt der Bewegung.

Im Berufsleben geht es häufig darum, sich gegen spezifische Stressbelastungen zu schützen, sogenannte Resilienzfaktoren zu aktivieren und zu entwickeln, die uns helfen in einem anspruchsvollen Berufsleben gesund zu bleiben. Das Erlernen spezieller Entspannungsmethoden, Methoden der Stressbewältigung und Konfliktlösung kann hier unterstützend sein, aber auch die Reflexion eigener Anspruchshaltungen und Glaubenssätze.

Zu einem guten Verhaltensmanagement kann es auch gehören, Netzwerke und Freundschaften zu entwickeln und zu pflegen oder sich Vereinen und Initiativen anzuschließen, um aktiv für eine soziale Einbindung und Unterstützung zu sorgen.

Wir bieten zu diesen Themen auch Vorträge, Workshop und Seminare.

Wenn ich mir eine persönliche Frage erlauben darf, Herr Schmitt. Ihrer Biographie entnehme ich, dass Sie ja selbst in diesem kritischen Alter ihrer älteren Patienten sind. Was sind denn Ihre persönlichen Strategien für einen guten Übertritt in den Ruhestand?

Naja, zunächst habe ich ja noch ein wenig Zeit bis zum Ruhestand und werde noch eine gewisse Zeit hier in meiner Tätigkeit als Chefarzt tätig sein. Aber Sie haben recht. Tatsächlich ist es ratsam, sich bereits einige Jahre vor der Pensionierung oder Verrentung mit seinem Ruhestand zu beschäftigen, um eben diesen sogenannten „Pensionsschock“ zu vermeiden.

Für mich wäre es in jedem Fall wichtig, weiterhin einer sinnvollen Betätigung nachzugehen. Ich werde nach Möglichkeiten suchen, meine Erfahrungen weiterzugeben und auch weiterhin Neues zu lernen.

Natürlich soll auch der Genuss in der neu gewonnenen Freiheit und Freizeit nicht zu kurz kommen. Möglicherweise werde ich öfters mal nach Italien fahren.

Ich bedanke mich für das Gespräch!

Literaturempfehlung:

altwerden_kein_kunststueck

Jeder denkt nach über das Altwerden, aber jeder unterschiedlich. Das kann gar nicht anders sein und ist gut so. Trotzdem! Es gibt schon ein paar Dinge, die wohl viele sehr ähnlich empfinden. Sich an Schönes oder Trauriges erinnern gehört dazu, immer öfter, je älter man wird. “Schade”, sagen dann manche und gucken dabei pessimistisch. “Vorbei ist vorbei” sagen die Optimisten mit Augenzwinkern. Vergesslichkeit, Rückenschmerzen sind auch Dinge beim Altwerden, die wohl alle kennen. Genug Gründe also, um über das Altwerden zu schreiben.

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6 Antworten

  1. Vielen Dank, Frau Schmitt für das Interview!
    Ich befinde mich in einer ähnlichen Situation. Mit Mitte fünfzig fühle ich mich als Führungskraft in einem DAX-Unternehmen noch sehr leistungsfähig, aber mein Arbeitgeber glaubt, ich müsse in die Altersteilzeit gehen. Schlimm ist, dass insgeheim schon mein Nachfolger feststeht und man mich einfach nur loswerden will. Ich bin gerade dabei, mir über eine Therapie oder ein Coaching Gedanken zu machen, um mich für die nächsten Jahre gut aufzustellen. Eine leichte Depression hat sich bei mir schon entwickelt, glaube ich. An wen kann ich mich bezüglich Aufnahmeinformationen bei Ihnen wenden? Und: Könnte ich meinen Hund mitbringen?

    Danke für ein paar Info.
    Viele Grüße
    M.

    1. Hallo,
      vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre ehrlichen Worte. Dass die Situation für Sie sehr belastend ist, kann ich gut verstehen. Informationen zur Aufnahme in die Heiligenfeld Kliniken erhalten Sie persönlich und ausführlich von unserem Aufnahmeteam. Sie erreichen die Mitarbeiter dort unter der Telefonnummer 0971 84-0. Ihren Hund können Sie z. B. während eines Aufenthalts in der Parkklinik Heiligenfeld mitbringen. Dort bieten wir spezielle Zimmer an, in die Tiere mitgebracht werden können. Auch hierüber informiert Sie gerne unser Aufnahmeteam.
      Herzliche Grüße
      Ihre Kathrin Schmitt

  2. Sehr geehrter Herr Schmitt,

    2005, im Jahr, als mich die “Gratifikationskrise” des Ausrangiert-, Übergangen- und Ignoriert-Werdens erwischte, hatte ich das Glück drei Monate in Heiligenfeld sein zu können. Ich habe Sie leider nicht persönlich kennengelernt, denn Sie waren in Ihrer Auszeit. Vielleicht ist es deshalb gleichwohl für Sie schön zu wissen, dass mir die Zeit in Heiligenfeld sehr geholfen hat, mich a) aus meinem nur mehr schwer erträglichen Arbeitsverhältnis zu lösen (durch Altersteilzeit konnte ich mir selber 1 1/2 Jahre schenken) und b) mich nach einem Leben in der Wissenschaft erfolgreich als Beraterin und Coach zu etablieren. Menschen im Älterwerden bei der Sinnsuche zu helfen, ist mir dabei ein besonderes Anliegen, denn ich glaube, dass ich viel zum Älterwerden und zum Glücklichsein im Alter zu sagen habe.

    Herzliche Grüße,
    Hanna Schissler

    1. Liebe Frau Prof. Schissler,
      vielen Dank für Ihren Kommentar, den ich sehr gerne an Herrn Schmitt weitergeleitet habe. Toll, dass Sie für sich ganz persönlich eine gute Lösung gefunden haben mit der Situation umzugehen!
      Ich darf Sie von Herrn Schmitt ganz herzlich grüßen. Er hat sich sehr über Ihr positives Feedback gefreut!
      Viele Grüße
      Ihre Kathrin Schmitt

  3. Ich bin immer wieder dankbar, dass es solche Einrichtungen und Hilfe-Angebote für Menschen gibt. Oft sind diese in solch eine Lage geraten, in denen sie sich machtlos und ausweglos fühlen. Dank verschiedener Therapien wird diesen Menschen geholfen.

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