Bad Kissingen – Mehr als 1100 Teilnehmer kamen vom 16. bis 19. Mai zum Heiligenfelder Kongress der Akademie Heiligenfeld nach Bad Kissingen. Knapp 70 Referenten sprachen zum diesjährigen Thema “Achtsamkeit”, wobei viele von ihnen tieferführende Workshops anboten. Beim Eröffnungsvortrag referierte Dr. Joachim Galuska, Gründer der Heiligenfeld Kliniken und gemeinsam mit Albert Pietzko Kongressleiter, über das “Potenzial der Achtsamkeit”. Achtsamkeit ist bereits seit der Gründung der Heiligenfeld Kliniken im Jahr 1990 ein fester Bestandteil des therapeutischen Konzepts. Achtsamkeit wird in der Wissenschaft und Medizin als “Gewahrsein im Hier und Jetzt, ohne Urteil und Kritik” übersetzt. Als eine der ersten Kliniken überhaupt, war die Achtsamkeit in den Heiligenfeld Kliniken fester Bestandteil der Therapie von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Aber auch in der Rehabilitation in der Luitpoldklinik Heiligenfeld werden Übungen wie Qigong oder Atemübungen angewandt, die Elemente der Achtsamkeitspraxis beinhalten. Galuska erklärte im Eröffnungsvortrag, dass es aus seiner Sicht keine exakte Begriffsbestimmung geben müsse, “denn damit würde Achtsamkeit zu einem messbaren Konstrukt reduziert und verlöre sein dekonstruierendes befreiendes und spirituelles Potential.” In seiner folgenden “Bewusstseinsreise” thematisierte er die “dreifache Achtsamkeit”, nämlich die individuelle, die kollektive und die evolutionäre Achtsamkeit.
Während vor wenigen Jahren diejenigen, die sich mit dem Thema Achtsamkeit auseinandersetzten, nur eine Randgruppe darstellten, befinden sich mittlerweile viele Deutsche im Achtsamkeitshype. Immer mehr Menschen sind von ihrer positiven Wirkung überzeugt und die Achtsamkeit ist in der Gesellschaft angekommen. Und zwar in allen Lebensbereichen! Beispielsweise in der digitalen Welt, in der Familie, bei Ernährungsfragen und sogar beim Humor. Aber nicht nur da: “Let’s talk about sex”, dachten sich wohl Christian Schumacher und Hella Suderow bei ihrem gemeinsamen Vortrag “SlowSex – eine sexuelle Revolution durch Achtsamkeit”, und lagen damit voll im Trend. Dabei ging es den beiden Referenten weniger um eine neue “Technik”, als vielmehr um entspanntes Wachsein in der “unmittelbaren Begegnung”. Das kam an. Bei dem Vortrag am Samstag war der Rossini-Saal im Bad Kissinger Regentenbau bis auf den letzten Platz besetzt, und etwa 100 weitere interessierte Kongressbesucher konnten deshalb nicht dabei sein. So verpassten sie Christian Schumachers einfach klingendes Rezept: “Meine Aufmerksam beim Sex war oft in der Zukunft oder der Vergangenheit. Selten gelingt es uns, wirklich hier zu sein. Jetzt nehmen Sie dieses Gefühl von mehr Bewusstheit, mehr Wachsamkeit und dieses mehr an Achtsamkeit mit in die sexuelle Begegnung und das war’s. Das ist eigentlich schon alles.”
“Gesunde Ernährung – eine Frage von Achtsamkeit und Geschmack?!”, so lautete der Titel des Workshops von Nadia Beyer, Dipl. Oecotrophologin. Sie erklärte den Besuchern, wie Achtsamkeit in der Ernährung funktioniert: “Wenn ich schon intensiver kaue und mir mehr Zeit für das Essen nehme, habe ich natürlich eher eine Chance mein Hunger-Sättigungsgefühl wahrzunehmen. Dazu brauche ich eine gewisse Form der Achtsamkeit, Bewusstheit oder einen Fokus. Und ich brauche Zeit. Frühestens nach 20 Minuten kann das Sättigungsgefühl eintreten.”
Nanni Glück ist Humorberaterin und hat einen Workshop zum Thema “Humor und Achtsamkeit” gehalten. Sie plädierte für mehr Humor im Leben: “Humor ist in der positiven Psychologie eine der 24 Charakterstärken und Humor ist eine unglaubliche Ressource, die in jeden von uns schlummert und die wir kultivieren können.”
Besten Humor bewies der bekannte Schweizer katholische Theologe und Autor Pierre Stutz bei seinem Plenumsvortrag zum Abschluss des Kongresses am Sonntagmittag. Mit Worten des bayerischen Komiker Karl Valentin, “Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von mir”, eröffnete er seinen Vortrag “Verwundet bin ich und aufgehoben”. Die Biografie des Schweizers ist abendfüllend, seinen persönlichen Weg der Achtsamkeit beschreitet er seit 25 Jahren, und hatte selbst davor einen Burnout. 1994 initiierte er zusammen mit den Frères des Écoles Chrétiennes von Fontaine-André ein “offenes Kloster”, eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, auch verheirateten, die miteinander leben und eine Spiritualität im Alltag suchen. Im Sommer 2002 legte Stutz sein Priesteramt nieder. Seit 2003 ist er mit seinem Lebensgefährten zusammen, sie wohnen in Osnabrück, schreibt er in seiner Biografie “Mein Weg”. Dem Achtsamkeits-Hype konterte er in seinem Referat mit Humor: “Irgendwann müssen wir doch mal durchmeditiert sein”, und hat beim Heiligenfelder Kongress die Lacher auf seiner Seite. Doch die Botschaften von Pierre Stutz mögen lustig klingen, gehen aber in Wirklichkeit in die Tiefe. So sprach er auch von der immerwährenden Sehnsucht “endlich sein zu dürfen”.
Bei den über 1100 Teilnehmern des Kongresses handelte es sich um branchenspezifisches Fachpublikum, Ärzte, Therapeuten und interessierte Laien. Von der wichtigsten Tagung der Kurstadt profitiert auch die heimische Wirtschaft. Die Akademie Heiligenfeld als Veranstalter stellt keine Zimmerkontingente zur Verfügung, sondern teilte den Kongressteilnehmern bereits im Vorfeld mit, sich ihre Unterkünfte selbst zu suchen.
Ein positives Resümee zieht Anita Schmitt, Leiterin der Akademie Heiligenfeld. Sie war begeistert von der einzigartigen Atmosphäre, den beeindruckenden Referenten und den interessierten Kongressteilnehmern. Der nächste Heiligenfelder Kongress findet unter dem Titel “Reifung: individuell – organisatorisch – gesellschaftlich” vom 14. bis 17. Mai 2020. Mehrere hundert Teilnehmer haben sich beim diesjährigen Kongress bereits dafür angemeldet.