„Ich kann das so gar nicht sagen – was, wenn das jemand falsch versteht?“
„Ich habe wochenlang geschwiegen – aus Angst, es könnte als Schwäche gesehen werden.“
„Erst hier hatte ich das Gefühl, dass ich einfach sein darf.“
Solche Sätze hören wir in der Therapie häufig. Und sie berühren uns – denn sie führen uns zu einem zentralen, oft unterschätzten Prinzip: Psychologische Sicherheit.
Ein Begriff, der aus der Teamforschung stammt – und gleichzeitig tief in unserer therapeutischen Haltung verankert ist.
Was bedeutet psychologische Sicherheit?
Die amerikanische Organisationspsychologin Amy C. Edmondson definierte psychologische Sicherheit 1999 in einer viel beachteten Studie als:
„A shared belief that the team is safe for interpersonal risk taking.“
Frei übersetzt: „Das geteilte Gefühl in einem Team, dass man sich zeigen, Fragen stellen und auch Fehler machen darf – ohne Angst vor negativen Konsequenzen.“
Sie zeigte: Teams, in denen Menschen offen sprechen können – über Fehler, Unsicherheiten, Kritik oder Ideen – arbeiten nicht nur effektiver, sondern auch kreativer und resilienter. Der Erfolg entsteht nicht trotz, sondern durch Offenheit.
Diese Erkenntnis hat die Arbeitswelt verändert. Doch ihre Bedeutung reicht weit darüber hinaus – gerade für die therapeutische Beziehung und den inneren Heilungsprozess.
Warum Sicherheit der erste Schritt zur Genesung ist
Wer sich in eine psychosomatische Behandlung begibt, bringt nicht nur Symptome mit, sondern oft auch Erfahrungen von Kränkung, Ablehnung oder Überforderung. Viele unserer Patient:innen haben gelernt: Wenn ich mich zeige, werde ich verletzt. Wenn ich ehrlich bin, verliere ich etwas.
Heilung beginnt deshalb nicht mit Diagnostik, sondern mit Beziehung. Genauer: mit einer Atmosphäre, in der Menschen sich zeigen dürfen, ohne Angst vor Ablehnung. In der Worte nicht gegen einen verwendet werden. In der Schweigen nicht als Desinteresse gedeutet wird. In der Menschen wieder Vertrauen lernen – in sich und andere.
„Vertrauen entsteht dort, wo Menschen sich zeigen dürfen, ohne Angst haben zu müssen.“
Sven Steffes-Holländer Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken
Was die Forschung belegt: Sicherheit wirkt
Psychologische Sicherheit klingt erstmal wie ein weiches, vielleicht sogar idealistisches Konzept. Aber sie ist gut erforscht – und wissenschaftlich belegt.
Bereits Ende der 1990er Jahre zeigte Amy Edmondson, dass Teams besser zusammenarbeiten, wenn Menschen offen sagen können, was sie denken, ohne Angst vor Abwertung zu haben. Wer sich sicher fühlt, lernt schneller, teilt eher Ideen und kann besser mit Fehlern umgehen.
Eine große Meta-Analyse von Frazier et al. (2017) bestätigte: Psychologische Sicherheit fördert nicht nur die Zusammenarbeit im Team, sondern auch das Wohlbefinden, die Lernbereitschaft und das Engagement der Einzelnen – über Berufsgruppen hinweg.
Und was heißt das für die Psychotherapie?
Eine Übersichtsstudie zur Wirksamkeit von Psychotherapie (Orlinsky et al., 2004) kommt zu einem klaren Ergebnis: Das Verhältnis zwischen Therapeut:in und Patient:in – geprägt durch Vertrauen, Sicherheit und Respekt – ist der wichtigste Erfolgsfaktor der Behandlung. Noch vor Methode oder Technik.
Menschen brauchen Beziehungssicherheit, bevor sie sich auf Veränderung einlassen können.
So leben wir psychologische Sicherheit in Heiligenfeld
Wir verstehen diese Form der Beziehungsgestaltung nicht als Methode, sondern als Grundhaltung. Diese zeigt sich in vielen Facetten unserer Arbeit:
- Wertschätzende Sprache, die nicht pathologisiert, sondern Potenziale anspricht.
- Achtsames Zuhören, das nicht unterbricht oder bewertet.
- Ganzheitliche Therapiekonzepte, die körperliche, seelische, soziale und spirituelle Aspekte einbeziehen.
- Rituale und Räume, die Orientierung und Zugehörigkeit fördern.
Ob im Einzelgespräch, in der Gruppe oder in der körperorientierten Arbeit: Wir schaffen ein Klima, in dem Offenheit nicht gefährlich, sondern heilsam wird.
Kleine Schritte im Alltag
Psychologische Sicherheit beginnt im Kleinen – und jede:r kann sie stärken:
- Stellen Sie echte Fragen. Nicht aus Neugier, sondern aus Interesse.
- Lassen Sie Pausen zu. Manchmal braucht es Mut, das Wesentliche zu sagen.
- Loben Sie nicht nur Ergebnisse, sondern auch Mut und neue Ideen.
Ein geschützter Rahmen für Offenheit und Vertrauen ist kein Luxus. Er ist die Grundlage für Entwicklung, Teamgeist, Kreativität – und letztlich: Menschlichkeit.
Zum Weiterdenken
„Sicherheit ist nicht die Abwesenheit von Gefahr, sondern das Gefühl, gesehen zu werden.“
In einer Zeit, in der viele Menschen zwischen Anpassungsdruck und innerer Erschöpfung stehen, braucht es Räume der Sicherheit. Orte, an denen man keine Rolle spielen muss. Beziehungen, in denen Verletzlichkeit nicht beschämt, sondern getragen wird.
Die Heiligenfeld Kliniken wollen genau solche Orte sein. Und vielleicht können wir alle – ob im Beruf, in der Familie oder unter Freund:innen – immer wieder kleine Räume schaffen, in denen wir uns psychologisch sicher fühlen.
Denn nur dort, wo ich sicher bin, kann ich wachsen.
Quellen
- Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350–383.
- Frazier, M. L., Fainshmidt, S., Klinger, R. L., Pezeshkan, A., & Vracheva, V. (2017). Psychological safety: A meta-analytic review and extension. Journal of Management, 43(6), 2036–2066.
- Orlinsky, D. E., Rønnestad, M. H., & Willutzki, U. (2004). Fifty years of psychotherapy process-outcome research: Continuity and change. In: Lambert, M. J. (Ed.), Bergin and Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change (5th ed., pp. 307–389). Wiley.
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