Ein Kratzen im Hals oder Schmerzen im Kopf kennt jeder. Die meisten wissen sofort, dass lediglich ein harmloser Hustenreiz oder klassische Kopfschmerzen dahinterstecken. Doch für manche bedeuten solche Beschwerden schnell mögliche Warnsignale für schwerwiegende Erkrankungen. Mit anderen Worten: Das Kratzen im Hals wird zum möglichen Kehlkopfkrebs und die Kopfschmerzen zu einem Gehirntumor. Menschen, die häufig diese Erfahrungen durchleben, werden oft als Hypochonder bezeichnet und leiden eventuell unter Hypochondrie – einer besonderen Form von Angst mit übermäßiger Fixierung auf mögliche Krankheiten.
In diesem Beitrag erfahren Sie, was genau Hypochondrie ist, wie häufig sie vorkommt, wie sie entsteht und verläuft, woran man sie erkennt und welche Wege es gibt, sich Hilfe zu holen.
Was ist eine hypochondrische Störung?
Im ICD-10, dem international gültigen System der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Einteilung von Krankheiten, wird Hypochondrie unter dem Schlüssel F45.2 den somatoformen Störungen zugeordnet. Somit gehört sie zur Kategorie derjenigen psychischen Erkrankungen, bei denen für die bestehenden Beschwerden wie Schmerzen, Übelkeit oder Erschöpfung keine klaren organischen Ursachen gefunden werden können. Hypochondrie ist eine Störung, bei der Betroffene Angst haben, an einer schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheit zu leiden oder hieran zu erkranken, ohne dass dies organmedizinisch bestätigt wurde.
Nach der ICD-10-Beschreibung empfinden Hypochonder selbst alltägliche körperliche Symptome häufig als ungewöhnlich oder besorgniserregend. Meistens richtet sich ihre Aufmerksamkeit lange auf ein oder zwei Körperorgane bzw. -systeme. Am häufigsten befürchten Hypochonder folgende Krankheiten: Krebserkrankungen, HIV/Aids, Herz- und Kreislaufleiden sowie neurologische Störungen wie Demenz oder Multiple Sklerose. Die Intensität dieser Belastung variiert stark von leichten Hemmungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit und der Notwendigkeit einer stationären Behandlung.
Wie lässt sich primäre und sekundäre Hypochondrie unterscheiden?
Von einer primären hypochondrischen Störung spricht man, wenn die Krankheitsangst die Hauptdiagnose darstellt. Betroffene Personen suchen wegen hypochondrischen Sorgen professionelle Unterstützung auf. Bei einer sekundären Hypochondrie besteht die Krankheitsangst begleitend zu einer anderen Grunderkrankung, etwa einer Panikstörung oder Depression. Sie tritt häufiger, jedoch in milderer Form auf und bessert sich meist im Verlauf der Behandlung der Hauptdiagnose.
Welchen Zusammenhang gibt es zum Internet?
Eine besondere Ausprägung der Hypochondrie ist die Cyberchondrie, auch „Morbus Google“ genannt. Betroffene verbringen viel Zeit damit, ihre Symptome und deren mögliche Ursachen ausgiebig im Internet zu recherchieren und stellen anhand der Suchergebnisse eigene, schwerwiegende Diagnosen auf. Hierdurch verstärkt sich die bereits bestehende Krankheitsangst zusätzlich. Zwar kann es in manchen Fällen sinnvoll sein, sich online über Beschwerden zu informieren, da dies das eigene Gesundheitswissen erweitert und den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten erleichtert. Allerdings wird es dann problematisch, wenn die Recherche ein zwanghaftes Muster annimmt. Betroffene finden sich dadurch ständig in Situationen wieder, in denen sie auf der Suche nach Krankheitsbildern sind, die meist beängstigend oder widersprüchlich sind. Mit der Zeit nimmt die Angst um die eigene Gesundheit immer weiter zu und beeinträchtigt das tägliche Leben maßgeblich.
Wie häufig kommt Hypochondrie vor?
In Deutschland kommt Hypochondrie bei Männern und Frauen in vergleichbarer Häufigkeit vor. Die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz schätzt, dass jeder 14. Bundesbürger von der Krankheitsangst betroffen ist; demnach sind es etwa 7 Prozent der Bevölkerung. (https://presse.uni-mainz.de/ausgepraegte-krankheitsangst-durch-psychotherapie-sehr-gut-behandelbar/)
Podcast: Angst und Panik - eine Übung
Was sind die Ursachen von Hypochondrie?
Hypochondrie hat ihren Ursprung in verzerrten, krankheitsbezogenen Grundüberzeugungen und wird durch verschiedene Lernprozesse im Leben beeinflusst. Dazu zählen:
- Negative frühere Erfahrungen mit eigenen Beschwerden
- Chronische Erkrankungen von Familienmitgliedern oder Freunden
- Unzureichender Zugang zu medizinischer Hilfe
- Ungefilterte und ungeordnete (Halb-)Informationen aus der Mediennutzung
- Risikoreiche Berufstätigkeiten
- Suchtproblematiken innerhalb der Familie
Wie verläuft Hypochondrie?
Hypochondrie weißt eine hohe zeitliche Stabilität auf. Nach dem ersten Auftreten begleitet die Krankheitsangst Betroffene oft mehrere Jahre, mit einer Tendenz zur Chronifizierung bei ausbleibender psychotherapeutischer Behandlung.
Die hypochondrische Störung kann sich in unterschiedlichen Lebensperioden manifestieren. Die ersten Symptome können bereits im Kindesalter auftreten, manchmal auch erst im Jugend- oder im Erwachsenenalter. Im Durchschnitt liegt das Ersterkrankungsalter bei 26 Jahren.
Was sind typische Symptome bei einer Hypochondrie?
Hypochonder leiden unter verschiedenen Symptomen:
Emotional – Ängste
Die starke Angst vor Erkrankungen ist das wesentliche Merkmal der Hypochondrie. Diese Angst kann so intensiv werden, dass Betroffene sogar Panikattacken erleiden. Zusätzlich belastet sie auch die Möglichkeit, dass ihre Angehörigen und Freunde ebenfalls von ernsthaften Erkrankungen betroffen sein können. Sie informieren diese über potenzielle Gefahren bestimmter Symptome und raten ihnen, einen Arzt aufzusuchen.
Kognitiv
Im Zentrum der Wahrnehmung stehen meist der eigene Körper, die angstauslösenden Symptome und Informationen über mögliche Ursachen. Selbst geringfügige körperliche Veränderungen werden sofort registriert. Betroffene entwickeln ungewöhnliche Vorstellungen über mögliche körperliche Krankheiten, die meist unzutreffend sind.
Körperlich
Durch die anhaltende Anspannung und das erhöhte Stresslevel kommen zusätzliche körperliche Begleiterscheinungen hinzu, z. B.:
- Schlafstörungen
- Muskelverspannungen
- Nervosität
- Unruhe
- Reizbarkeit
Dies kann man sich wie eine sich selbst verstärkende und zunehmende Negativspirale vorstellen, da hierdurch wiederum körperliche Symptome ausgelöst oder verstärkt werden.
Verhalten
Ärztliche Absicherung:
Personen mit Krankheitsängsten gehen durchschnittlich alle zwei Wochen zu einem Arzt. Trotz dieser zahlreichen Besuche finden sie jedoch keine anhaltende Beruhigung; medizinische Absicherungen bringen auf lange Sicht keine Entspannung. Betroffene werden gegenüber den medizinischen Befunden schnell skeptisch und befürchten, dass den Ärzten doch etwas entgangen ist. Hinzu kommt noch, dass viele häufig den Arzt bzw. die Ärztin wechseln und weitere Behandler aufsuchen.
Vermeiden:
Anders als beim Absicherungsverhalten können Betroffene aufgrund ihrer Ängste Arztbesuche sogar vermeiden. Sie interpretieren ihre körperlichen Beschwerden negativ und fürchten, dass Ärzte ihre Krankheitsüberzeugungen bestätigen. Das Vermeidungsverhalten kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Häufig werden nicht nur Arztbesuche gemieden, sondern auch Besuche bei Freunden im Krankenhaus, das Anschauen von Gesundheitssendungen oder Arztserien, die Teilnahme an Trauerfeiern, das Lesen von Todesanzeigen usw.
Ständige Untersuchung des Körpers, z. B.:
- Tägliches Abtasten der Brust aus Angst vor Brustkrebs
- Häufiges Wiegen, um mögliche krankheitsbedingte Gewichtsveränderungen zu erkennen
- Sorgfältige Untersuchung der Haut auf Auffälligkeiten
- Kontrolle des Stuhlgangs aus Angst vor Darmproblemen
- Sehübungen wie Lesen von Texten aus der Ferne, um neurologische Erkrankungen oder einen Hirntumor auszuschließen
- Balance und Koordinationstests z. B. das Laufen auf einer Linie
- Protokollführung über das Sportverhalten, Ernährungsverhalten und den Alkohol- sowie Tabakkonsum
Leide ich unter Hypochondrie?
Was kann ich gegen Hypochondrie tun?
Entspannungstechniken
Achtsamkeit und Meditation
Mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen sollen Gedanken und Gefühle wahrgenommen werden, ohne diese direkt zu bewerten. Diese Methode ermöglicht Betroffenen, zu ihren Ängsten eine Distanz aufzubauen und sie sachlicher einzuschätzen.
Progressive Muskelentspannung
Durch den Einsatz von Entspannungstechniken sollen körperliche und geistige Spannungen reduziert werden. Hier dient die progressive Muskelentspannung als geeignete Methode, bei der die unterschiedlichen Muskelregionen des Körpers der Reihe nach angespannt und anschließend wieder bewusst gelockert werden.
Autogenes Training
Bei dieser Entspannungsmethode wird unter Selbsthypnose und Autosuggestion ein Zustand tiefer Ruhe und Entspannung angestrebt. Während der Verwendung von Autosuggestion werden positive Gedanken und Affirmationen formuliert und wiederholt aufgesagt.
Was sind Affirmationen und wie helfen sie in der Therapie?
Bewegung
Körperliche Aktivität spielt eine wichtige Rolle, um aus anhaltender Anspannung und Stress herauszufinden. Regelmäßiger Sport hilft, überschüssige Energie abzubauen, das Stresslevel zu senken und das emotionale Gleichgewicht zu fördern. Ob Ausdauertraining, Yoga, Schwimmen oder Spaziergänge in der Natur: Wichtig ist, eine Bewegungsform zu finden, die Freude bereitet und regelmäßig in den Alltag integriert werden kann. So wird Bewegung zu einer wertvollen Methode, um Körper und Geist langfristig zu entspannen.
Kognitive Verhaltenstherapie
Von Hypochondrie Betroffene sollten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Eine bewährte Behandlungsmethode ist die kognitive Verhaltenstherapie. Ziel ist es, belastende Denkmuster zu erkennen, zu hinterfragen und durch realistischere, hilfreiche Überzeugungen zu ersetzen. Gleichzeitig werden Verhaltensweisen, die Ängste oder Beschwerden aufrechterhalten, schrittweise verändert.
In unseren Heiligenfeld Kliniken bieten wir ein Therapiekonzept an, dass Ängste ganzheitlich behandelt.
Quellen
1. Bleichhardt, G., & Weck, F. (2010). Kognitive Verhaltenstherapie bei Hypochondrie und Krankheitsangst. Berlin: Springer-Verlag.
2. Neng, J. M. B., & Weck, F. (2012). Hypochondrie und Krankheitsangst – ein kognitiver Behandlungsansatz. Psychotherapie, 17(1), 100–110. CIP-Medien, München.
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