Burnout – der Kopf in Gips?!

Wenn jemand von der Leiter fällt und sich den Arm bricht, geht er zum Arzt und lässt sich behandeln – kein Zweifel. Es wird geröntgt und gegipst, und in den nächsten Wochen erlebt der Betroffene deutlich die Einschränkung, während sein Umfeld ebenso deutlich erkennt, was vorgefallen ist. Körperliche Verletzungen und Erkrankungen werden selbstverständlich medizinisch behandelt und versorgt. Und wahrscheinlich kommt in den meisten Fällen niemand auf die Idee, den gebrochenen Arm vor seinem Umfeld zu verheimlichen, sich deshalb nicht mehr aus dem Haus zu trauen und Kontakte zu seinen Mitmenschen aufs Allernötigste zu beschränken.

Bei psychischen Erkrankungen sieht es – noch immer – anders aus. Zwar gab es in den letzten Jahren zahlreiche Bemühungen, Informationen über Depressionen, Ängste, Zwang usw. mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, quasi in die Mitte der Gesellschaft zu bringen – also genau dorthin, wo diese Erkrankungen anzutreffen sind. Gleichzeitig bestehen noch immer massive “Berührungsängste”. Niemand ist vor psychischen Erkrankungen gefeit, jeden kann es treffen, genauso wie auch jeder von der Leiter fallen und sich einen Arm brechen kann. Während eine eingegipste Gliedmaße jedoch im Normalfall keine Schamgefühle oder betretenes Schweigen auslöst, führen psychische Beschwerden und Störungen oft genau dazu: teils massive Scham bei den Betroffenen und leider auch allzu häufig noch Unverständnis, vielleicht sogar Schuldzuweisungen und Vorwürfe vonseiten des Umfelds. Depressionen und Ängste werden mit Schwäche und Versagen assoziiert – “Mensch, jetzt reiß dich doch mal zusammen!” Wer erkrankt ist und so etwas zu hören bekommt, zieht sich unweigerlich zurück, schottet sich ab und gräbt sich noch tiefer in das Loch, in das er gefallen ist. Dabei ist ein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen nicht nur wünschenswert, sondern sollte grundsätzlich im gesellschaftlichen Interesse liegen. Einiges wird bereits gemacht: Aktionstage oder -wochen, Aufklärungskampagnen, Initiativen und Appelle von verschiedensten Stellen. Und auch wenn tatsächlich viele Menschen heute eher bereit sind, über seelische Probleme zu reden und sich entsprechende Hilfe zu suchen als früher, haftet psychischen Erkrankungen noch immer ein gewisser Makel an. Es mag dann leichter sein, von einem “Burnout” zu sprechen als von einer Depression, da ersteres ja in der Regel impliziert, dass jemand viel – sehr viel – geleistet hat und jetzt verständlicherweise erschöpft ist. So wird eine Krankheit noch zum Gütezeichen der eigenen Leistungs- und Aufopferungsbereitschaft umetikettiert. Und passt auf diese Weise plötzlich vielleicht auch viel besser ins Selbstverständnis und in die geschlechterspezifische Rollenerwartung, im Sinne von: “Frauen bekommen Depressionen, Männer einen Burnout”!?

Das Eingeständnis, an einer Depression erkrankt zu sein, gelingt den Wenigstens “mit erhobenem Haupt”. Das liegt natürlich einerseits an der Erkrankung und ihren typischen Symptomen, andererseits aber auch daran, wie ich mich selbst sehe und wie ich von außen gesehen werde bzw. gesehen werden möchte. Die (Selbst-) Wahrnehmung der Männer als “das starke Geschlecht, das keine Schwäche zeigen darf”, ist zwar glücklicherweise nicht mehr so stereotyp und kategorisch wie noch vor einigen Jahrzehnten. Doch auch, wenn sich gesellschaftliche Konventionen ändern, hinken kollektive und individuelle, identitätsvermittelnde Stereotype dieser Entwicklung hinterher. Oder anders gesagt: Mehr oder weniger unbewusste Überzeugungen lassen sich nicht von heute auf morgen durch eine Geschlechterrollendebatte verändern. Eine dieser Überzeugungen lautet eben: Die Depression ist eine typische “Frauenkrankheit”. Viele Statistiken und Befragungen scheinen dies zu bestätigen. Frauen besitzen hiernach ein etwa doppelt so hohes Risiko wie Männer, sowohl an einer Depression als auch generell psychisch zu erkranken. Ist die Frau also tatsächlich das “schwache Geschlecht”? Oder ist es vielleicht vielmehr so, dass Frauen und Männer “anders” erkranken? Denn: Sie reagieren häufig ganz unterschiedlich auf Stresssymptome. Männer tendieren eher dazu, bei Stress ihre Anstrengungen zu intensivieren, sich mit Alkohol, Sexualität oder Sport “abzureagieren”, oder aber Belastendes generell zu verdrängen. Die Aufrechterhaltung der funktionierenden Fassade ist zentral, gerade auch bei einer Depression, zu deren Hauptsymptomen Selbstwertverlust und das Gefühl fehlender Einflussmöglichkeit gehören. Krankheit und Geschlechtsrollenerwartung gehen hier eine verhängnisvolle Beziehung ein, die letztlich dazu führt, dass Männer sehr viel später Hilfsangebote wahrnehmen als Frauen, nämlich oft erst dann, wenn gar nichts mehr geht. Und auch systematische Verzerrungen in den Diagnosesystemen sowie in den Urteilen der zu Rate gezogenen Ärzte können als Erklärung für das oben erwähnte Erkrankungsungleichgewicht verantwortlich gemacht werden. Behandler neigen dazu, von Männern geschilderte Beschwerden eher auf körperliche Ursachen zurückzuführen, und in häufig verwendeten Fragebögen zur Erfassung depressiver Symptome sind oft Fragen formuliert, die am Erleben der Männer vorbeigehen. Auf diese Weise entsteht quasi automatisch eine Diskrepanz zwischen den Geschlechtern.

Vielleicht kann die Diagnose “Burnout” hier tatsächlich etwas Abhilfe schaffen, denn sie passt viel besser zum männlichen Selbstverständnis. Wer viel geleistet hat, darf erschöpft sein und sich Unterstützung suchen. Und hoffentlich führt die öffentliche Diskussion auch weiterhin Stück für Stück dazu, dass psychische Erkrankungen ihre “Aura der Fremdartigkeit und Negativität” verlieren. Damit sie irgendwann genauso selbstverständlich betrachtet und behandelt werden wie ein gebrochener Arm – egal, ob dieser Arm nun einem Mann oder einer Frau gehört.

Die Heiligenfeld Kliniken haben es sich zur Aufgabe gemacht, umfassend über psychische Erkrankungen, insbesondere über die Burnout-Symptomatik zu informieren. Es geht um Aufklärung, Prävention und Therapie – mit dem Ziel, Ratsuchenden und Betroffenen hilfreich zur Seite zu stehen. Weiter Informationen unter burnout.heiligenfeld.de

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6 Antworten

  1. Unsere kapitalistische Arbeitwelt schafft mit seinem Wunsch nach stetigen Wachstum für den einzelnen immer neue Ziele die er erreichen muss. Der Konkurrenzdruck in den Firmen steigt auch jedes Jahr stetig an, da Unternehmensberater die Firmen auch mehr effizient und mehr Zahlkenkommunikation an die Mitarbeiter bewegen. Aus diesen Grund ist es wichtig sich selbst nicht aus dem Auge zu verlieren, den ohne Arbeit kann man noch leben, ohne Gesundheit jedoch nicht mehr.

    1. Sehr geehrte Mia,
      vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich stimme Ihnen absolut zu, dass es darauf ankommt, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Oft neigen wir Menschen dazu, kurzfristige und nur scheinbar wichtige Ziele zu verfolgen, die sich später – aus der zeitlichen Distanz heraus betrachtet – als wesentlich unbedeutender herausstellen als zunächst angenommen. Gesundheit wird allzu schnell als eine Selbstverständlichkeit abgehakt; bis zu dem Moment, an dem (ernste) Beschwerden auftreten. Manchmal ist es schlichtweg hilfreich, auch für die s c h e i n b a r e n Selbstverständlichkeiten dankbar zu sein und diese wertzuschätzen.

  2. Für Männer ist es aber immer noch schwer eine psychologische Beratung wahrzunehmen. Das liegt aber eher daran, dass das Rudelvieh verhalten bei ihnen ausgeprägter ist. Wer schwäche zeigt, wird meist gebissen.

  3. Besten Dank für den Beitrag. Heutzutage ist es wirklich schnell soweit, dass man in Depressionen und Burnout verfällt. Egal ob es am generellen Stress liegt oder auch an einem Unfall, der sich erst spät in PTBS äussert. Heutzutage kann ein Gespräch beim Psychologen auch an normalen Tagen mal ganz hilfreich sein.

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